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Lernen, fürs Auge zu produzieren

■ Für die Verbraucher geht's um den Preis, für DDR-Firmen ums nackte Überleben

Vor der Kaufhalle in der Heinrich-Rau-Straße in Potsdam quillt der Mülleimer über. Getränkedosen und leere Flaschen liegen daneben. Zwei Frauenrücken werben für befreienden Nikotingenuß, ein Kind wickelt den Kaugummi, der die große Frische bringt, aus dem Papier. Die Schaufenster sind mit Werbung für Produkte der Springer-Presse zugeklebt, drinnen stapelt sich Jakobskaffee neben Nutella. Das eingemachte Obst ist mit Natreen gesüßt, und Maggi läßt grüßen. Kaum beachtet, weil farblos und altbekannt, stapeln sich noch ein paar DDR-Konserven in einer Ecke. „Unsere Produkte sind ja auch schlecht. Der Tortenguß zum Beispiel, der taugt nischt“, sagt eine Frau, die vom Land nach Potsdam gefahren ist, um dort einzukaufen. Mehl oder Zucker würde sie auch von DDR-Firmen kaufen. „Das ist gleich gut.“ Zum Ärger vieler Kunden sind aber auch solche Produkte aus den Kaufhallen verschwunden. „Es kann doch nicht angehen, daß wir jetzt Westwaren kaufen müssen“, beschwert sich ein Mann.

Die HO ist durch Handelsverträge an das Sortiment von Rewe und damit an West-Produkte gebunden. Die Bezirksverwaltung Potsdam will aber DDR-Firmen wieder eine Chance geben: Sie wies die HO an, trotz des Exklusiv-Liefervertrags bei DDR -Firmen zu kaufen. Der Leiter der Kaufhalle in der Heinrich -Rau-Straße: „Das dauert, bis das ins Rollen kommt.“ DDR -Milch und -Butter kann man in seiner Filiale schon kaufen. „Ein Fortschritt“, sagt dazu ein Käufer. Besonders ungerecht findet er, daß DDR-Bürger mit nur geringem Einkommen höhere Preise bezahlen müssen als Bundesbürger. „Eine Dose Gemüse kostet drüben 99 Pfennig, hier aber 1,39“, hat er herausgefunden. „Mich ärgert es, weil unsere Produkte ja auch gut waren“, so eine andere Kundin. Weil die Verpackung der West-Produkte bunter und besser sei, greifen DDR-Käufer mit Vorliebe zu Ariel statt zu Spree.

„Machen wir uns doch nichts vor: Das Auge kauft mit“, sagt der Kaufhallen-Leiter. DDR-Firmen müßten so schnell wie möglich lernen, fürs Auge zu produzieren. „Das gehört zur Kaufkultur.“ Insgesamt seien seine Kunden zufrieden. „Die einen sagen, Gott sei Dank, daß es jetzt endlich die West -Produkte gibt. Die anderen bestehen darauf, daß sie unsere Milch kaufen können.“

Aber DDR-Produkte sind teuer geworden: Brotpreise haben sich verfünffacht. „Wo ist denn die Kaufkraft der D-Mark?“ Die Frage scheint berechtigt: ein Glas Sauerkraut hat 89 Pfennig Ost gekostet. Nach der Währungsunion eine D-Mark. Auf der Straße verkauft ein Getränkekombinat Bier, Limo und Cola vom Lastwagen aus. „Unser Lager is voll“, sagt der Verkäufer. Ein- bis zweimal die Woche hatte der volkseigene Betrieb sämtliche HO- und Konsumläden beliefert. Seit dem ersten Juli muß alles schneller gehen. Der Handel klagt über Unpünktlichkeit der DDR-Hersteller. „Wir können eben nur bei einem HO-Laden morgens um 7 Uhr sein“, sagt der Verkäufer dazu. Westware und Einwegflaschen sind die Alternative.

Auch bei der Lieferung des Rewe-Sortiments gibt es Pannen: Eine ganze Regalreihe in der Kaufhalle bleibt leer. „Konditoreiwaren und Käse sind heute nicht gekommen“, wiederholt die Verkäuferin zum zweihundertsten Mal und ist sichtlich genervt. Erst am Montag gibt es die neue Lieferung. Das Ergebnis sind Einkaufstourismus in den Westen und schlechte Umsätze in Ost-Geschäften. „Soviel ist klar, die drüben lachen sich tot“, schimpft ein Kunde. „Und wenn diese Kaufhalle keine guten Umsätze macht, werden zwei Arbeiter entlassen.“ Er ist bei einem Großhandel beschäftigt, wo so manche Fehlplanung zu Verlusten geführt hat. „Am Anfang haben wir die Pfirsiche pro Stück für 1,50 verkauft. Das war zu teuer, und wir mußten fast die Hälfte wegschmeißen.“

Für DDR-Firmen geht es ums Überleben - für die Verbraucher um den Preis. In der Kaufhalle steht ein alter Mann und zählt Pfennige. Nein, Tortellini kann er sich nicht leisten. Die sind zu teuer.

Karin Mayer

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