: „Stalin war kein Afrikaner“
■ Afrika auf der Suche nach einem eigenen Weg zur Demokratie / Auf einer Tagung in Loccum wird die Abkehr vom real existierenden Staat in Afrika gefordert / Mit oder ohne Europas „Hilfe“? / Zivilgesellschaft muß sich herausbilden dürfen, damit das Modell Demokratie überhaupt funktioniert
Von Dominic Johnson
Der heiße Frühling in Afrika zeigt Erfolge: es gibt kaum noch einen Staat, in dem die Einführung eines Mehrparteiensystems nicht auf der unmittelbaren politischen Tagesordnung steht. „Die gute alte Zeit ist vorüber - die Zeit, wo Staatsoberhäupter Lieder sangen und mit Fahnen wedelten“, beschwört Ben Turok, Direktor des Londoner Instituts für Afrikanische Alternativen, die afrikanische Aufbruchstimmung. Er sprach auf einem Kolloquium unter dem Titel „Afrikanische Alternativen - mit Hilfe der Europäer?“, das vom 9. bis 11. Juli in der Evangelischen Akademie Loccum stattfand. Nicht nur er war jedoch der Meinung, daß sich die gewünschte Demokratie nicht im Mehrparteiensystem erschöpft. Denn ausgerechnet die schlimmsten Diktatoren sind gegenwärtig dabei, Mehrparteiensysteme zu installieren und Wahlen abzuhalten. Zaires Mobutu, Gabuns Bongo, Nigerias Babangida, Sambias Kaunda, Houphouet-Boigny von der Elfenbeinküste - alle haben diesen Schritt angekündigt, nach mehr oder weniger dramatischen Unruheperioden. Ist dies bloß eine Spielerei, etwas um „die Ränge zu amüsieren“, wie es mehrere afrikanische Kommentatoren zynisch bezeichnen? Im Zynismus dürfte der nigerianischen Herrscher, General Babangida, kaum zu überbieten sein. Er hatte bereits letztes Jahr die Rückkehr zum Parteienpluralismus verkündet, die Opposition zugelassen, sie danach gleich wieder verboten und zum Schluß höchstpersönlich zwei Parteien gegründet, eine „eher rechts“ und eine „eher links“, die jetzt miteinander konkurrieren sollen.
Solche Aktionen stützen die These, fundamentalere Veränderungen in der Gesellschaft seien notwendig, um Demokratie zu erreichen. In ihrer Arbeit massiv behindert, ohne Publikationsmöglichkeiten oder direkten Einfluß auf das politische Leben, haben Oppositionsparteien auch in existierenden Mehrparteiensystemen wie z.B. in Senegal ein schweres Leben. Der senegalesische Journalist Adama Gaye: „Wir brauchen eine Wahlrechtsänderung, so daß in Zukunft die Stimmabgabe nicht mehr angezweifelt werden kann; die Aufhebung der Blockierungen, tariflicher und anderer Art, denen eine dynamische private Presse zum Opfer fällt; die Kontrolle der Staatspresse, welche die volle Entfaltung des Talents ihrer Mitarbeiter verhindert. Auch die Tradition einer unabhängigen Gerichtsbarkeit muß verstärkt werden“. Klassische demokratische Forderungen also. Der Herausgeber von 'Jeune Afrique‘, Bechir Ben Yahmed, brachte diese Einsicht auf den Punkt. „Das Mehrparteiensystem ist in der Demokratie dasselbe wie das Salz in der Küche: eine notwendige Zutat, welche leicht mißbraucht werden kann. Sicher gibt es ohne Salz keine gute Mahlzeit. Doch die Mahlzeit besteht nicht aus Salz allein“.
Woraus die Mahlzeit bestehen soll, ist klar - doch darüber, wer sie kocht, scheiden sich die Geister. Es gibt manche, die nur von verstärktem europäischen Druck Hoffnung erwarten. Dazu gehören nicht nur - selbstredend - die Europäer, sondern auch afrikanische Oppositionspolitiker aus den Ländern, zu denen die Freiheitslüfte noch kaum durchgedrungen sind. Beispielsweise Somalia: „Wenn ich in die Zeitung gucke, muß ich mich schämen, Afrikaner zu sein“, erklärt ein Vertreter des „United Somali Congress“ in Loccum. Europa sollte Druck auf die Diktatoren ausüben, ihnen die Entwicklungsgelder streichen.
Es gibt aber auch viele Stimmen, die eine europäische Beeinflussung des afrikanischen Demokratisierungsprozesses ablehnen. Schließlich habe Europa dem Kontinent das Kolonialsystem aufgezwungen und damit die ganze Misere erst geschaffen. Aber von der neueren europäischen Geschichte könne man doch lernen? „Stalin war kein Afrikaner“, hält dem beispielsweise der ehemalige PAU-Generalsekretär Edem Kodjo entgegen. Afrika müsse seinen eigenen Weg zur Freiheit finden.
Es sind sich alle einig, daß dies mit den existierenden Staatengebilden in Afrika nicht geht. Wenn aber nicht „diese Staaten“ die afrikanische Souveränität verkörpern, wer dann? Ben Turok verwies auf die traditionelle afrikanische Großfamilie als Träger einer selbstorganisierenden Gesellschaft. Innerhalb ihres Rahmens würde schon jetzt der Naturalienhandel organisiert - und nicht nur auf einfacher Tauschbasis, sondern in regelrechten Handelsnetzen, die per Flugzeug von Lagos bis Dakar durchorganisiert seien. Die Regierungen seien unfähig, vernünftige Handelssysteme innerhalb Afrikas aufzubauen, da afrikanische Währungen nicht gegenseitig konvertierbar seien. Die Finanzstrukturen des Weltmarkts seien somit ein direktes Hindernis für die afrikanische Wirtschaft.
Wenn dies wahr sein sollte, wäre ein Wirtschaftsprogramm wie das der Elfenbeinküste, das unter Leitung des Ex -Gouverneurs der Westafrikanischen Zentralbank Alassane Ouattara das Land wieder kreditwürdig machen soll, katastrophal. U.a. schlug Ouattara am 28. Mai nämlich vor, Aufenthaltsgenehmigungen für alle Ausländer obligatorisch zu machen und dafür hohe Gebühren zu erheben; gleichzeitig sollen zwölf diplomatische Vertretungen, vornehmlich in anderen afrikanischen Staaten, geschlossen werden. Der existierende „Schwarzhandel“ würde damit noch tiefer in die Illegalität gezwungen.
Strukturanpassungsprogramme, wie sie von der Weltbank, vom IWF und auch von der EG gefordert werden, appellieren an den Staat, eine funktionierende Wirtschaft zu schaffen. Dabei könnten das die Leute selber viel besser, und darin sind sich in Loccum eigentlich alle einig. Im Tschad beispielsweise, wo der jahrzehntelange Bürgerkrieg das Bildungssystem ruiniert hat, organisieren Elternverbände den Unterricht inzwischen selber. 3.500 Grundschulklassen werden von ihnen verwaltet; jedes Jahr zum Schulanfang werden die Lehrpläne und der Schulhaushalt von Elternversammlungen festgelegt. Denn ohne Bildung, darauf wurde mehrmals hingewiesen, funktioniert das beste Wirtschaftsprogramm nicht. Welcher Afrikaner hat schon jemals einen Weltbankbericht über sein Land zu lesen bekommen? Die Expertisen internationaler Finanzfachleute werden von ihnen selbst und von den betroffenen Regierungen wie Staatsgeheimnisse behandelt. Diejenigen, die von Strukturanpassungsprogrammen betroffen sind, haben keine Möglichkeit, ein Urteil darüber zu fällen. Sie bekommen nur die negativen Auswirkungen zu spüren. Solange keine Möglichkeiten bestehen, politisch zu diskutieren und Ideen zu entwickeln, wird das Monopol westlicher Wirtschaftsprogramme und die Ausgrenzung der Bevölkerung weiterbestehen. Und solange wird auch die perverse Vernunft der Weltwirtschaftsordnung weiter herrschen, das der Londoner Agrarexperte Kevin Watkins in Loccum so beschrieb: „Die Multis wollen mit Getreide handeln, sie wollen nicht, daß die Leute das Zeug essen - das ist aus ihrer Position wirtschaftlich irrational“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen