Das Ich aus Blech und der Marihuana-Effekt

Die Gewalt in den Straßen nimmt zu. Nach außen hin völlig harmlos wirkende Autofahrer, mit Häkelkissen auf der Hutablage und „Ein-Herz-für-Kinder„-Aufkleber an der Heckscheibe, werden plötzlich zu wutschnaubenden Berserkern. Wenn sich der deutsche Autofahrer ungerecht behandelt fühlt, blinkt, drängelt und prügelt er wild drauflos. Dreimal innerhalb von zwei Tagen gingen Autofahrer sogar mit gezogener Schußwaffe auf ihrer „Konkurrenten“ los. Nur, warum ist das so? Was passiert im Hirn des Durschnittsbürgers wenn er am Steuer durchdreht? Warum ist er bereit für „sein Recht“ im Straßenverkehr sein Leben und das anderer leichtfertig auf Spiel zu setzten?

Professor Udo Undeutsch, Verkehrspsychologe an der Uni Köln, beschäftigt sich schon seit Jahren mit dieser interessanten Frage. Seine einfache Erklärung: Der Autofahrer betrachtet sein Fahrzeug als „erweitertes Ich“. Wer diesem „Ich aus Blech“ zu nahe kommt, wer es in seinem Vorwärtsdrang behindert oder gar beschädigt, der wird als Angreifer angesehen. Ihm wird grundsätzlich dabei eine böse Absicht unterstellt und entsprechend ist die Reaktion.

Zwei Typen unterscheidet Undeutsch: „den Rächer“ und „den Jähzornigen“. Beide haben seiner Meinung nach auch im Alltag nicht die feinsten Manieren. Der typische Verkehrsrowdy legt nach den Ergebnisse von Undeutsch „wenig Sorgfalt in der Erfüllung normaler sozialer Pflichten an den Tag“. Er macht häufiger Schulden, kommt etwaigen Unter

haltspflichten nicht nach, leidet öfter unter Alkoholproblemen und wechselt häufiger Arbeitsplatz und Intimpartner. Jeder Drängler und Lichthupenfreak auf der Autobahn ist für Undeutsch also ein asozialer, arbeitsscheuer, sexbesessener Alkoholiker.

Die Holländer haben ganz andere Probleme. Sie fingen letzte Woche mit einem dreiwöchigen Test an, der den Marihuana -Effekt auf Autofahrer untersuchen soll. Dafür wird jeden Abend von 19 Uhr bis Mitternacht ein 15 Kilometer langes Autobahnstück gesperrt. Zwölf Männer und zwölf Frauen kiffen für die Wissenschaft. Sie haben die Pflicht vor Antritt der Fahrt jeweils einen Joint zu rauchen und danach über die Autobahn zu brettern. Dabei sitzt neben einem nüchternen Nebenmann auch ein Computer mit im Wagen, der die Aufgabe hat, die Veränderungen im Fahrverhalten der tapferen Testperson zu registrieren. Der nächtliche Spaß hat einen ernsten Hintergrund. Die Holländer haben nämlich vor, wie beim Alkohol, gesetzliche Grenzwerte für weiche Drogen festzulegen.

Karl Wegmann