: „Gegen Bullen vorgehen - ultrageil“
■ Werder-Fans aus Italien zurück: Ein Betreuer berichtet vom Ausflug des Fan-Projekts zur Fußball-WM
„Wenn man uns wie Tiere behandelt, dann handeln wir auch wie Tiere.“ Diesen Satz zitiert Thomas Haffke, der die Werder -Fans während der WM in Italien betreute, immer wieder, wenn er die Ereignisse jetzt Revue passieren läßt. Viereinhalb Wochen mit 30 jugendlichen Fußball-Fans mitten im Hexenkessel, da geht es jetzt ans Aufarbeiten.
Thomas Haffke, Sozialwissenschaftler und seit Jahren im Bremer Fanprojekt engagiert, war vor allem von der Massivität und Brutalität der italienischen Poli
zei unangenehm beeindruckt. „Es fing schon an, als wir mit unserem Bus vom Campingplatz zum ersten Spiel fuhren“, berichtet er. 300 Kilometer weit war die Gruppe von Mailand entfernt, hatte also eine relativ weite Anreise zum Stadion in Mailand, wo die deutsche Mannschaft spielte. Wegen des Alkoholverbots wurden an den Maudstellen der Autostrada Kontrollen (Haffke: „besonders bei deutschen Bussen und PKW“) durchgeführt. Bei dieser ersten Anreise-Fahrt seien die Polizisten vom Seitenstreifen her
mit entsicherten Pistolen in den Bus gestürmt. Einem der Jugendlichen, der eine Dose Bier in der Hand hielt, hätte ein Polizist die entsicherte Waffe vor die Stirn gesetzt. „Der Junge ist vor Schreck in den Sitz zurückgefallen, das Bier fiel zu Boden“, erzählt Haffke. Von da an hätten sie überhaupt keinen Alkohol mehr mitgenommen. Über das Ausmaß dieser Prohibitions-Maßnahme seien sie allerdings nicht informiert gewesen. Sie hätten unter Alkoholverbot zunächst die sonst üblichen Flaschen-Abgaben am
Stadion-Eingang verstanden.
Frustriert war die Gruppe bereits von ihrer gefängnisartigen Unterkunft: Das gebuchte Appartementhaus am Campingplatz in Gateo Amare war bereits belegt, einzige Übernachtungs-Möglichkeit für die 30 Fans und ihre 4 Betreuer blieb dann ein vergittertes, enges Haus mit Mehrbettzimmern - ein Beschiß des italienischen Reiseveranstalters, gegen den die Fans jetzt vorgehen werden.
Und da die WM-Organisatoren jegliche Fan-Programme abge
lehnt hatten, das Alkoholverbot und immense Preise (ein alkoholfreies Bier für 21 Mark) Kneipenbesuche als Zeitvertreib ausschlossen, hingen die Jungs nach der rechtzeitigen Anreise schon ab mittags gelangweilt bis zum Spielbeginn um 21 Uhr auf dem Domplatz herum.
Randale und Muffensausen
Die AC-Mailand Fans hätten dann die Deutschen „ziemlich hart provoziert“, angerempelt, beschimpft und Fuckzeichen gezeigt. Während Haffke mit seiner Videokamera das folkloristische Ambiente filmte, seien die Fans plötzlich „durchgedreht“ und auf die Polizei losgegangen, - zum ersten Mal übrigens in der Geschichte solcher Auseinandersetzungen. Nach dem Motto „gegen Bullen vorgehen - ultrageil, eh“ hätten sich einige der Bremer Jungs auch mit ins Getümmel gestürzt, viele seien aber auch mit Muffensausen vom Platz geflohen.
Beim Halbfinale seien englische Fans mit entsicherten MPs durch die Straßen getrieben wor
den, erzählt Haffke. In Turin habe es außerdem ein Lager gegeben, in dem die Leute regelrecht umzingelt und bewacht bis zum Spielbeginn zurückgehalten wurden. Haffke berichtet von Schützenpanzern, Zaun und Polizisten in zweiter Reihe.
Nach dem Sieg von Argentinien über Italien seien sie selbst von Italienern auf dem Campingplatz überfallen und zusammengeschlagen worden. Von der schützenden Rezeption aus hätten sie die Polizei zu Hilfe gerufen und seine dann unter Polizeischutz mit ihrem Bus zur Autobahn geleitet worden.
Nach den Krawallen und Schlägereien, die besonders von der italienischen Presse sensationslüstern ausgeschlachtet worden waren, hatte das deutsche Generalkonsulat die Werder und HSV-Fans und ihre Betreuer zu Hintergrundgesprächen eingeladen, um nach Erklärungen für die Ereignisse zu suchen. Thomas Haffke: „Es war ein großer Fehler, daß die Italiener nur auf Polizei und Streitkräfte gesetzt haben.“
ra
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