Tröstliche Vieldeutigkeit

■ Nicht links, nicht rechts, aber was dann?

EUROFACETTEN

Die Umweltkrise hat den kalten Krieg nicht einfach nur als zentrales Thema abgelöst. Sie ist in gewisser Weise auch Ergebnis des kalten Kriegs. Schließlich resultierte gerade der Wettbewerb zwischen den beiden Systemen, die in den letzten vierzig Jahren als gegensätzlich empfunden wurden, obwohl sie im Grunde nur zwei Varianten der Industriegläubigkeit darstellen, aus größerer Umweltzerstörung. Nach den Umbrüchen wollen jetzt auch die Leute im Osten die Variante „Freiheit“. Aber sie kommt zu spät. Denn eine Verallgemeinerung der westlichen Konsumgewohnheiten würde das Leben auf unserem Planeten auslöschen. Hinzu kommt, daß der Zusammenbruch des Kommunismus den Westen von dem äußeren Druck befreit, an der sozialen Marktwirtschaft als Schaustück des Massenkonsums festzuhalten.

Eigentlich fing diese Veränderung schon in den achtziger Jahren an: Weg vom Fordismus, der erfolgreich mit dem Sozialismus konkurrieren konnte, weil er der Arbeiterschaft einen hohen Lebensstandard verschaffte, und hin zu einer neuen Gesellschaft, die eine wachsende Zahl von Leuten erst von der Produktion und anschließend vom Konsum ausschließt. Resultat: Auf der einen Seite Hungerkatastrophen in der Dritten Welt und die Zunahme der „neuen Armut“ in den reichen Ländern, vor allem in den USA. Auf der anderen Seite die Expansion profitabler Märkte für eine zahlreiche und finanzkräftige Minderheit.

Was bedeutet dies für die Grünen? Nach den überraschenden Ereignissen im letzten Jahr ist es schwer vorauszusehen, ob die grüne Idee von dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa profitieren oder aber durch die veränderte Konstellation aufgeweicht wird. Historisch gesehen entwickelte sich die grüne Idee im Westen aus einer linken Tradition. Sie basierte auf dem Konsens, daß das Primat der Umwelt mit liberalen Bürgerrechten und der Betonung von autonomer Selbstbestimmung für Frauen und Minderheiten einhergehen muß.

Dieser Zusammenhang ist nicht selbstverständlich, er drückt vielmehr die zentrale politische Identität der Grünen aus, die sie von anderen Konkurrenten um das Umweltthema, zum Beipiel den Reaktionären, unterscheidet. Der Erfolg des grünen Modells, Umweltthemen mit sozialen und Menschenrechtsfragen zu verbinden, wird davon abhängen, ob es gelingt, ein neues Kulturmodell zu entwickeln, das die Menschen in Ost und West, Süd und Nord miteinschließt.

Auch kurzfristig ist der politische Zusammenhalt der Westgrünen durch kulturelle Probleme bedroht, die im breiteren Ost-West-Zusammenhang noch komplizierter geworden sind. Um nur eine Frage anzusprechen: Wie verträglich ist der Erhalt regionaler Kulturen mit der Forderung nach freier Immigration und einer multikulturellen Gesellschaft? Ein anderes großes Problem der Grünen ist ihre eigene politische Kultur. Sie sind Kinder einer Zeit des Aufstands gegen vorgefundene Organisationsprinzipien, die jetzt Schwierigkeiten haben, Formen der Zusammenarbeit zu finden, die ihren Idealen entsprechen.

Solange diese Fragen unbeantwortet bleiben, kann man sich damit trösten, daß Vieldeutigkeit eine politische Bewegung nie daran gehindert hat zu wachsen. Im Gegenteil.

Diana Johnstone

Diana Johnstone, vormalig Europakorrespondentin der US -amerikanischen Wochenzeitung 'In These Times‘, ist Pressesprecherin der Fraktion der Grünen im Europaparlament