: Bisher wenig elektrisierte HeimwerkerInnen
■ Der Schukostecker aus der DDR profitiert kaum von der Währungsunion / Viel billiger als die West-Konkurrenz und auch ohne Prüfzeichen sicher
Von Claudia Wuttke
Die DDR steht unter Strom: Seit dem 1. Juli ist der Verkauf von Schukosteckern an jedermann und jedefrau wieder möglich. Damit wird eine Vorschrift von 1973 unwirksam, nach dem das Steckerli nur an ausgewiesene HandwerkerInnen abgegeben werden durfte. Der Grund damals lag, so die offizielle Lesart, in einer erhöhten Unfallrate, die die unsachgemäße Werkelei an der eigenen Steckdose mit sich brachte.
Heute ist die Zeit der Be- und Verhütung vorbei und der Zugriff auf das Produkt ungehindert möglich: Im Ostberliner „Stop am Alex“, dem früheren Kaufhaus „Centrum“, liegen Dutzende von Schukos unbeachtet im untersten Regal der Elektroabteilung. Das Stück ist für 67 Pfennig zu haben. Gleich daneben findet sich auch die westdeutsche Entsprechung. Ein bißchen massiver, ein bißchen schwerer und vor allem ein bißchen teurer: 2,20 DM kostet die ostdeutschen VerbraucherInnen ein Schutzkopfstecker made in West Germany, dafür aber auch mit VDE-Prüfzeichen.
Entgegen den Erwartungen habe ein Ansturm auf das Produkt allerdings nicht stattgefunden, erklärt ein „Stop„ -Verkäufer. Auf die Frage nach dem Warum zuckt er die Achseln und verweist auf das ehemalige Gesellschaftssystem, das sich über Beziehungen und den Tausch begehrter und knapper Waren konstituierte.
Den stockenden Schukosteckerabsatz erklärt sich Frau Meyer, stellvertretende Leiterin der Heimwerkerabteilung der Ostberliner Markthalle, auch nicht anders. Entweder war die Reparatur eines defekten Stromanschlusses nicht so eilig. Dann konnte ein Antrag auf Schadensbehebung durch HandwerkerInnen der Kommunalen Wohnungsverwaltung gestellt werden. Bis sie sich aber der Sache annahmen, konnten Monate vergehen. Wer Radio, Fön oder sonstiges Gerät in naher Zukunft wieder gebrauchen wollte, der ging den inoffiziellen Weg, den privatwirtschaftlichen sozusagen: Ein befreundeter Elektriker, meist im Betrieb, beschaffte das begehrte Stück.
Seit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ist der Weg nun ganz frei. Artikel des Heimwerkerbedarfs sind fortan auf dem Ladentisch erhältlich, nicht mehr darunter. Hat sich dieser Umstand bereits im Kaufverhalten niedergeschlagen? Frau Meyer verneint die Frage. Die Sorge um den Arbeitsplatz, die Unwägbarkeit künftiger Preissteigerungen und nicht zuletzt die Schlangen vor den Bankschaltern veranlassen die Menschen, sparsam mit der neugewonnenen Finanzfreiheit zu wirtschaften. Der Umsatz in der Markthalle sei sogar zurückgegangen, und das, obwohl die ehedem begehrten DDR-Produkte gegenwärtig bis zu 70 Prozent billiger sind als zu vorkapitalistischen Zeiten - und immerhin nur die Hälfte von westlichen Importwaren kosten. Der Preis für einen 43teiligen Pkw- und Universalwerkzeugkoffer aus der DDR beläuft sich beispielsweise auf 99 D-Mark, hingegen der importierte Markenartikel bei gleicher Ausstattung erst für 185 D-Mark zu haben ist.
Das Verhalten der anwesenden Kundschaft gibt Frau Meyer recht: Das Geschäft ist mäßig gefüllt. Die Anwesenden schauen, wollen wissen, was vorrätig ist. Verkauft werden Kleinigkeiten: Schlösser, Sicherungen und Schrauben etwa. Ein Käufer erwirbt einen AEG-Bandschleifer für 185 D-Mark. „Den wünsche ich mir schon seit drei Jahren“, lautet sein Kommentar, aber mehr wolle er an größeren Anschaffungen zunächst nicht vornehmen.
Daß die Markthalle einen Umsatzrückgang zu verzeichnen hat, läßt sich aber auch anders erklären: Die Kundschaft wandert nach West-Berlin ab. Der Geschäftsführer der Firma Elektro -Harck spricht von einem „spürbaren Anstieg“ der Käufe durch DDR-KonsumentInnen. Gefragt ist auch hier allerdings weniger der Schukostecker, sondern vielmehr „das Handrührgerät der oberen Mittelklasse“.
In den Stinnes-Baumärkten verkaufe sich rund um die Renovierung seit dem 1. Juli eigentlich alles besser, urteilt der zuständige Substitut. Dennoch handele es sich eher um Artikel für notwendige Instandsetzungsarbeiten als um solche für bloße Verschönerungen in der Wohnkultur oder Auftaktinvestitionen für die Heimwerkerwelle. Daß Werkstoffe und Maschinen zur Zeit noch vorzugsweise im Westen gekauft werden, hat wohl in erster Linie marktwirtschaftliche Ursachen: die West-Artikel sind im Westen oftmals günstiger als im Osten.
Preiskalkulation: „Pi mal Fensterkreuz mal Sonne“
Bei einer Bohrmaschine macht der Preisunterschied immerhin fünf Prozent aus. Es ist aber weniger das Gewinnstreben, das zu dieser Differenz führt, als vielmehr die Unerfahrenheit mit betriebswirtschaftlicher Kosten- und Leistungsrechnung. „Die Preiskalkulation läuft hier“, gesteht Frau Meyer ein wenig ratlos, „pi mal Fensterkreuz mal Sonne.“
Zum Ausgleich der deutsch-deutschen Zahlungsbilanz können die Wessis allerdings auch einen profitablen Beitrag leisten: Schukostecker in der DDR kaufen. Die sind nach Auskunft der Westberliner Elektroinnung auch ohne Prüfzeichen ebenso sicher und voll funktionsfähig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen