Die Nullnummer des anderen Blicks

■ Europäische Sommerakademie

Zum Probelauf sozusagen startet am Samstag gegen 17 Uhr mit einer Eröffnung durch den Akademiepräsidenten Walter Jens die erste Europäische Sommerakademie in der Akademie der Künste. Peter Lilienthal, ihr Organisator und Spiritus benevolens, versteht sie nämlich als Pilotprojekt, aus dem er Erfahrung für die erste wirkliche Sommerakademie ziehen möchte, die dann nächstes Jahr stattfinden soll. So ist sie erst einmal eine Begegnungsstätte für werdende und schon gewordene Filmemacher und für alle an allen medialen und mediumspezifischen, um nicht zu sagen: kommunikations- und technologietheoretischen Fragen Interessierten, ein Alibiprojekt zu den renommierten Filmereignissen dieser Stadt. Lilienthal nennt seine neu geschaffene Einrichtung lieber den „Ort des Anderen“, an dem wir vor der endgültigen Differenzverwischung ein letztes Mal für den fremden Blick sensibilisiert werden sollen. Er möchte uns gleichzeitig einen besinnlich-gefüllten Sommer schenken, in dem wir „die Zeit verlangsamen, Bilder genauer betrachten, das Gedächtnis schärfen und uns dem wichtigsten und einzigen Medium anvertrauen: dem neugierigen Blick eines Suchenden, der noch keine Antwort auf seine Fragen gefunden hat“.

In der Akademie der Künste wird also ein vierwöchiges Gesprächs- und Filmprogramm mit Beiträgen aus Ost- und Westeuropa, aber auch deutschen von Harun Farocki, Reinhard Hauff, Dominik Graf und vielen anderen veranstaltet. Fehlen dürfen selbstverständlich nicht die Jean-Luc Godards und Jean-Marie Straubs/ Daniele Huillets. Das Anliegen ist zweifellos edel: Medienmacher, -kritiker und Medienphilosophen sollen „Fragen entscheidender Art“ stellen, die Probleme jenseits der Marktmechanismen und der Überschwemmung des europäischen Marktes durch amerikanische „Muskelfilme“ thematisieren. Robert Jungk, jüngstes Mitglied dieser Sommerakademie, warnt gleich vorweg vor der Apparatisierung der Kommunikation und skizziert seine Utopie: Gespräche Über den Film.

Als erstes wird am Samstag ein Video von und über Evgen Bavcar gezeigt, der, obwohl blind, als Ästhetikprofessor in Paris arbeitet und gleichzeitig fotografiert: Er erzählt in dem Videofilm Le regard ebloui von seiner Heimat Slowenien und über seine Wahrnehmung der Welt vor und nach der Zeit seiner Erblindung. Im Foyer wird anschließend eine Ausstellung von Fotos, die er in Berlin in der Ruine der Künste gemacht hat, eröffnet. Als weiterer Gast ist der sowjetische Filmemacher Herz Frank anwesend, von dem neben mehreren Kurzfilmen ein halbdokumentarischer Spielfilm im Programm ist, der der Tragik einer sibirischen Musikerfamilie nachgeht, deren Mitglieder sich nach einer mißglückten Flugzeugentführung fast alle umbrachten.

Vilem Flusser, der Medientheoretiker, sagte bei seiner Vorstellung, daß er nur wegen Berlin nach Berlin gekommen sei, denn was hier im Moment geschehe, sei doch ein reaktionärer Prozeß, der jedem Nichtdeutschen Angst machen müsse: Wo Europa auf Abschaffung der nationalen Hoheiten setze, gründe sich eine neue deutsche Nation, wo allgemein Streuung zu beobachten sei, sei hier Ballung und Konzentration im Gange - im Zeitalter der Auflösung der Polis unzeitgemäße Polisbildung. Es wird sich erweisen, wie die Sommerakademie dem „Anderen“ und sich selber begegnen wird.

Michaela Ott