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Schwimmen im luftleeren Raum

■ DDR-Jugendradio DT 64 verhandelt mit privaten Investoren / Ziel der Anstrengungen: Erhalt eines überregionalen, kritisch-alternativen Senders für junge Leute Ein Gespräch mit Intendant Dietmar Ringel und Chefredakteur Wolfgang Martin

In den Redaktionsstuben des DDR-Hörfunks herrscht allgemeine Verwirrung. Noch ist kein tragfähiges Zukunftskonzept in Sicht. Anfang Juli wurden in den künftigen Ländern Landesrundfunkdirektionen gebildet und diverse Landesstudios errichtet, die nun den regionalen Programmbetrieb aufgenommen haben. Dagegen rudern die bestehenden nationalen Sender in der Berliner Nalepastraße ums Überleben. Über ihnen schwebt die Drohung einer großangelegten Entlassungswelle.

DT-64-Intendant Dietmar Ringel hat für sein profiliertes Jugendradio, das seit April ein nationales 24-Stunden -Programm fährt, andere Pläne. In seinem „Rationalisierungskonzept“ hatte er für DT 64 die Rolle eines gesamtdeutschen Jugendkulturkanals vorgesehen. Weil medienpolitische Entscheidungen im DDR-Gremienchaos weiter auf sich warten lassen, sucht Ringel jetzt Bündnispartner unter den Privaten. Die taz sprach mit ihm und Chefredakteur Wolfgang Martin über die Zukunftspläne des Senders.

taz: Wenn über das Fortbestehen der Staatssender und über die Vergabe von Sendefrequenzen gesprochen wird, fehlt DT 64 fast immer, ist das Ende schon besiegelt?

Dietmar Ringel: Fakt ist eines, daß alle Anträge, die bisher auf Erhalt von Sendefrequenzen gestellt wurden, nicht bearbeitet werden konnten, da kein Gremium existiert, das einen solchen Zuschlag erteilen könnte. Vor einigen Tagen versicherte mir der Medienminister in einer Gesprächsrunde, er sehe auf jeden Fall eine Perspektive für das Jugendradio, gab aber gleichzeitig selbst klar zu verstehen, daß er nicht befähigt ist, Genehmigungen für Programme auszuteilen, das müßten die Länder entscheiden, bei ihnen liegt die Kompetenz, sie haben die Frequenz und Runfunkhoheit inne. Solange sich die politischen Verhältnisse dieser Länderbildung nicht verfestigt haben, wird der Zustand des luftleeren Raumes, in dem alle schwimmen, anhalten.

Bleibt nur abzuwarten?

Ringel: Genau das macht DT nicht, wir sind nicht mehr das Kaninchen, das regungslos vor der Schlange sitzt. Gerade in dieser Übergangszeit passieren die entscheidenden Vorgespräche, werden die Weichen gestellt. Wir haben jetzt, und dieser neue Aspekt hat uns zu diesem Gespräch veranlaßt, die private Schiene in unsere Überlegungen hinsichtlich des Fortbestehens des Senders miteinbezogen. Es geht uns in erster Linie darum, das Jugendradio als Identitätsträger für ein Stück linke DDR-Kultur zu bewahren, und wenn uns die Kooperation mit einem privaten Geschäftspartner mehr Sicherheiten bietet, als bei dem momentan vorherrschenden politischen Durcheinander der öffentlich-rechtliche Bereich das kann, verhandeln wir eben mit ihm. Die Frage stellt sich für uns relativ einfach: Wo können wir unsere Vorstellungen besser realisieren, mit einem Vertreter der Wirtschaft, mit klaren Konditionen und der vertraglich festgeschriebenen Zusicherung, sich nicht in inhaltliche Belange einzumischen, wenn nicht die wirtschaftliche Lebensfähigkeit gefährdet ist, oder in einer Mühle zu sein, wo eine Vielzahl politischer Kräfte versucht, Einfluß zu nehmen und ein Resultat weitab von der eigenen Vorstellung liegt.

Wie sehen Ihre Vorstellungen vom JR aus?

Ringel: Als erstes muß ich klären, daß wir nicht für uns als Privatpersonen verhandeln, sondern im Namen der gesamten Belegschaft, deren Mandat wir einstimmig tragen. Die Kollegen bekennen sich zum Profil des Senders, das seit dem November noch um einige Details bereichert werden konnte. Zum zweiten: der Hauptansatz für mich ist, das Programmprofil von DT muß erhalten bleiben. Das heißt, wir wollen ein staatsfernes Programm sein, das möglichst kritisch, alternativ, aus der Sicht junger Leute auf das blickt, was die Gesellschaft zu bieten hat. Auch dem Musikprofil werden wir treu bleiben, am Tag ein Massenpublikum zu erreichen. Wir bestehen aber darauf, der Hörerschaft durchaus auch Neues anzubieten, uns dabei mit einzubringen und dennoch für ein breites Publikum zugänglich zu sein. Am Abend und in den Nachtsendungen sollen alternative Ansätze, was Spezialsendungen betrifft, weitergeführt werden. Die Zielgruppe sollen auch weiterhin Schüler und Lehrlinge, Studenten und Absolventen sein. Und gerade für diesen Ansatz interessieren sich die Herren der anderen Seite.

Wer sind die Verhandlungspartner?

Ringel: Jedem Medienkenner ist es einleuchtend, daß wir zu diesem Zeitpunkt nicht sämtliche Karten auf den Tisch legen können, bevor nicht alles vertraglich fixiert ist. Uns ist klar, welche Signalwirkung unser Schritt für den privaten Bereich hätte, wir müssen deshalb besonders umsichtig vorgehen.

Wird wieder, wie im Fall ihrer Werbevermarktungsgesellschaft, Springer hinter den Gesprächspartner stecken?

Ringel: Nein, soviel können wir sagen, daß wir weder mit RTL noch Schamoni oder einem ähnlichen Medienkonzern verhandeln. Zur Frage nach der Vermarktungsgesellschaft, dem Radio Marketing Service (RMS): Das ist eine Tochter der drei nordwestdeutschen Privatsender und bei denen steckt Springer jeweils höchstens mit sechs bis sieben Prozent drin, ebenso Burda und Bertelsmann.

Es gibt keinerlei Versuche, auf das Programm von DT einzuwirken?

Ringel: Laut Vertrag, den wir bis 1991 abgeschlossen haben, gibt es für RMS nur eine Aufgabe, Werbung zu akquirieren, so viel wie möglich, und zwar von Westfirmen, DDR-Werbung wird über unser Büro für Öffentlichkeitsarbeit bearbeitet. Bisher gab es keine Probleme, außer den allgemeinen. Die Werbeetats wurden im vergangenen Jahr veranschlagt, ohne Kenntnis der sich verändernden Umstände.

Was, außer der Programmstruktur ist noch Inhalt Ihrer Gespräche?

Martin: Noch eine kurze Bemerkung zur Akzeptierung unseres Programms. Darin unterscheidet sich unser Gesprächspartner maßgeblich von anderen Anbietern, aber auch Politikern, deren scheinbares Hauptziel es ist, alles in der DDR Bestehende total und möglichst nachhaltig zu zerstören.

Ringel: Es gibt drei Eckpunkte, die Grundvoraussetzung für unsere Verhandlungen sind. Erstens die absolute Priorität der redaktionellen Seite, also Programmautonomie gegenüber der Geschäftsseite, so etwas muß in einer Art Programmphilosophie festgeschrieben werden. Zweitens: Beschäftigungsgarantien für alle Kollegen für eine bestimmte Zeit. Und drittens: Beibehaltung der Überregionalität von DT 64. Von mir wurde verlangt, ich soll 60 Kollegen entlassen, und es gibt keine Garantie dafür, daß es dabei bleiben wird. Der private Partner würde demgegenüber alle 146 Beschäftigte von DT übernehmen.

Ohne neue Leistungsanforderungen?

Ringel: Die ergeben sich allein schon aus der Konkurrenz durch neue Sendeanstalten und Veränderungen der Arbeitsorganisation im Zuge der Nutzung neuer Technik.

Würde neue Technik nicht auch Arbeitskräfte freisetzen?

Ringel: Das wird einige Techniker und Sendefahrer betreffen, denen man aber zum Beispiel durch den Aufbau einer eigenen Nachrichtentruppe neue Angebote machen kann.

Überregional soll es aber in jedem Fall weitergehen?

Ringel: Aufgrund der Tatsache, daß der Berliner Radiomarkt total überfüllt ist, wären wir schlecht beraten, würden wir uns auf den lokalen Raum festlegen lassen. Allein aus seiner Tradition ist DT 64 überregional, wir haben ein Stammpublikum in Sachsen, in Thüringen, der ganzen DDR, das wir unbedingt behalten wollen. Auch hier muß abgewogen werden, was bietet der private, was der öffentlich -rechtliche Rahmen. Bisher existiert Unklarheit über die Entwicklung beider Bereiche.

Wer wird zukünftig darüber befinden, welches Programm überregional strahlen darf?

Ringel: Das wird ein neues Gremium sein, bestehend aus den sechs Landesrundfunkdirektoren, das als kollektives Leitungsorgan fungieren wird.

Würde sich diese geforderte Überregionalität nicht mit den Aktivitäten der Landessender überschneiden?

Martin: Im Gegenteil, aus der Sicht von DT wäre eine Kooperation mit Landessendern durchaus denkbar, da diese im Sinne von Regionalprogrammen arbeiten werden. Vergleichbar mit den ersten Programmen der ARD der Bundesrepublik. Auch zukünftig mögliche zweite und dritte Programme, Servicewellen und Kulturschienen werden den Bedürfnissen jugendlicher Hörer aus eigener Kraft nicht abdecken können. Eine gleichberechtigte Zusammenarbeit, anders als bisher, wäre für beide Seiten von Vorteil.

Ringel: Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, eine Einladung an seriöse Verlage und Organisationen des Landes anzusprechen, die sich, und damit ein Stück kultureller Eigenständigkeit, in ein zukünftiges Gesellschaftsgremium einbringen möchten. Das kann auch Künstler und Schriftsteller einschließen, ebenso die Kirche, zu der wir unser positives Verhältnis ausbauen möchten.

Wird es in diesem Sinne die Volksaktie an DT 64 geben?

Martin: Nein, die sicher nicht, aber eine Belegschaftsbeteiligung wird bislang nicht ausgeschlossen.

Wie weit sind ihre Verhandlungen fortgeschritten, wird es am 1.Januar 1991 ein neues, altes Jugendradio geben?

Ringel: Das halte ich für den allerspätesten Termin! Bis dahin sind wir entweder privat oder haben uns im öffentlich -rechtlichen Rahmen etabliert oder existieren nicht mehr.

Interview Micha Möller

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