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Der große Schweiger

■ „Leichen pflastern seinen Weg“ um 23.55 Uhr auf Sat.1

Die italienischen Regisseure, die den sogenannten Italo -Western kreierten, beeinflußten das Genre so nachhaltig, daß selbst ihre Kollegen aus dem Land, welches die Historie, die Mythen und das eigentliche Terrain zu diesem Teil archaischer Geschichten lieferte, nicht umhin kamen, bestimmte europäische Neuerungen in Sachen Ästhetik und Thematik zur Kenntnis zu nehmen. Auch wenn der Italo-Western kaum älter als zehn Jahre wurde und dem Söldnerfilm mit seinem noch größeren Gewaltpotential weichen mußte, brachte er doch neben unzähligen Fließbandprodukten einige bedeutsame Arbeiten hervor, darunter die Sergio Leones und Sergio Corbuccis.

Corbucci war ein Filmemacher, der besonders radikal mit den Klischees und Konventionen des Genres aufräumte. Er machte einen tattrigen Greis zum Helden (Minnesota Clay) oder einen Indianer (Navayo Joe). Und er schickte die von ihm entworfene Figur des Django in einen Matsch aus Schlamm und Fäkalien. Er tat dies zwar aus gewissen humoristischen Erwägungen, näherte sich dabei aber durchaus zutreffend den Realien der amerikanischen Pionierstädte.

Vollends untypisch ist Corbuccis Leichen pflastern seinen Weg (Il grande silenzio). Schon in der Topographie unterscheidet sich dieser Film von den meisten anderen: Statt Wüste und Steppe zeigt Corbucci eine abweisende Schneelandschaft, die alleine den Zuschauer frösteln macht, und die der desillusionierenden, radikalen Haltung der Erzählung entspricht. Eine Gruppe von Outlaws lebt unter widrigen Umständen in dieser Schneewüste. Sie werden von mordlustigen Kopfgeldjägern unter Führung des cholerischen Loco (Klaus Kinski) bedrängt und engagieren zum Schutz den Stummen (Jean-Louis Trintignant). Der Stumme handelt, wider besseres Wissen, nach einem gewissen Ehrenkodex und stellt sich trotz eines schweren Handicaps der Herausforderung durch die Killerbande. Aber anders als im traditionellen Hollywood-Western gelten bei Corbucci keine Regeln, ist Fairness ein unbekanntes Wort, ist ein Duell keine Angelegenheit unter Gentlemen. Silenzio, der stumme Held, der gekommen war, die Schwachen zu beschützen, geht an dieser Regellosigkeit zugrunde; seine Ritterlichkeit erweist als ebenso ungeeignet wie die Gesetzestreue des Sheriffs (Frank Wolff), den Herausforderungen angemessen zu begegnen. Entsprechend inszeniert Corbucci Silenzios Tod, der gleichzeitig ein Abgesang auf den untadeligen klassischen Westernhelden ist: Per Zeitlupe überhöht er die mit schwülstiger Musik unterlegte Hinrichtung des Stummen zur Passion; da wird nicht einfach ein Revolvermann, sondern eine ganze Spezies abserviert.

Diese Demontage einer lange Zeit dominanten Genrefigur findet ungefähr zeitgleich Entsprechungen in den US-Western, wo sich die alternden Helden beispielsweise in Howard Hawks El Dorado nur noch mit im Grunde illegitimen Mitteln über die Runden retten können. Weil Silenzio zu einem solchen Verstoß nicht in der Lage ist, muß er sterben - das hergebrachte, idealisierende Bild des Westerns wurde mit diesem und anderen Filmen beerdigt.

Harald Keller

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