piwik no script img

Kein Friede ohne Rote Khmer

■ Der Asienwissenschaftler Peter Schier kritisiert die neue Kambodschapolitik der USA

DEBATTE

Die USA wollen, so ihr Außenminister Baker, „eine Rückkehr der Roten Khmer an die Macht verhindern“. Das wollen mittlerweile erklärtermaßen auch alle anderen Konfliktparteien, einschließlich Chinas und der Roten Khmer. Letztere haben unlängst sogar einer vollständigen Entwaffnung und Auflösung aller kambodschanischen Streitkräfte durch eine UNO-Friedenstruppe zugestimmt. Genau das lehnen aber die Regierungen in Phnom Penh und in Hanoi strikt ab: Sie wollen vielmehr das pro-vietnamesische Regime von Heng Samrin und Hun Sen an der alleinigen Macht halten. Entwaffnet werden sollen deshalb nur die Roten Khmer und die beiden anderen Widerstandsgruppen, während die Phnom-Penh -Armee nicht beschnitten werden darf. Für die Opposition sind lediglich ein paar repräsentative Posten in einem rein symbolischen „Obersten nationalen Rat“ vorgesehen sind, während die Regierung Hun Sen bestehen bleiben und einer Internationalen Kontrollkommission bei der Organisierung von „freien Wahlen“ behilflich sein soll. Wie solche Wahlen ausgehen würden, läßt sich leicht vorstellen. Genau darin liegt der Kernpunkt des Kambodscha-Konflikts: Es geht nicht nur darum, eine erneute Machtergreifung der Roten Khmer zu verhindern, sondern es muß auch ausgeschlossen werden, daß die Fraktion der früheren Roten Khmer von Heng Samrin und Hun Sen an der alleinigen Macht in Kambodscha bleibt.

Aus den historischen und aktuellen Besonderheiten des Kambodscha-Konflikts ergibt sich, daß eine dauerhafte Lösung nur durch eine Aussöhnung zwischen allen Gruppen der kambodschanischen Elite, das heißt, einschließlich der Roten Khmer, erreicht werden kann. Die jüngste US-Initiative könnte jedoch dazu führen, daß zumindest die Roten Khmer von der Beteiligung am Konfiktlösungsprozeß und an einer Übergangsregierung ausgeschlossen werden. So sehr eine derartige Entwicklung von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet gerechtferigt erscheint, so ist sie angesichts der absehbaren Folgen nicht nur politisch sondern letztlich auch moralisch in höchstem Maße unverantwortlich.

Erstens kann bei einem Ausschluß der Roten Khmer von einer politischen Lösung des Konflikts und von einer Beteiligung an einer Übergangsregierung der Krieg im Landesinneren nicht beendet werden, da die Roten Khmer in einem solchen Fall weiter gegen die Regierung in Phnom Penh kämpfen würden ganz gleich, wie sich diese Regierung konkret zusammensetzte. Umfangreiche Waffenverstecke, die seit 1980/81 angelegt wurden, würden es den Roten Khmer ermöglichen, über Jahre hinweg ohne eine größere Unterstützung von außen als erhebliche Bedrohung jeder Regierung in Phnom Penh zu überleben.

Zweitens ist angesichts der Stärke der Roten Khmer die immer wieder erhobene Forderung nach zwangsweiser Entwaffnung der Roten Khmer und nach ihrer Aburteilung vor einem Internationalen Gerichtshof schlicht unrealistisches Wunschdenken, da hierfür jegliche Voraussetzungen fehlen. Selbst die kampferprobten vietnamesischen Truppen haben die Roten Khmer nicht eliminieren können. Es ist nicht vorstellbar, daß die internationale Gemeinschaft bereit wäre, eine Friedenstruppe von mindestens 100.000 Mann nach Kambodscha zu entsenden, um mit absehbaren großen Verlusten und zweifelhaften Erfolgsaussichten zu versuchen, die Roten Khmer militärisch auszuschalten oder auch nur in Schach zu halten.

Drittens besteht zumindest China auf einer Beteiligung der Roten Khmer an einer politischen Lösung und an einer Übergangsregierung, so daß ein Ausschluß der Roten Khmer von einer politischen Lösung einem Ausschluß Chinas gleichkäme eine Konstellation, die eine Konfliktlösung unmöglich machen würde. In einem solchen Fall würde China nämlich die Roten Khmer weiter unterstützen.

Die Alternative hierzu ist die Beteiligung der Roten Khmer an einer Konfliktlösung und an einer Übergangsregierung, das heißt, die Roten Khmer würden in die politische Verantwortung für die Zukunft Kambodschas eingebunden und in die Pflicht genommen werden, sich an die auch von ihnen ausgehandelte und ratifizierte Lösung zu halten.

Die Roten Khmer haben am 29.Juni 1990 unter anderem vorgeschlagen:

-Einsatz einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen über einen Zeitraum von mehreren Jahren in Kambodscha,

-Entwaffnung und Auflösung aller bewaffneten Streitkräfte in Kambodscha,

-Lokalisierung und Konfiszierung aller Waffenlager im gesamten Land,

-Bildung eines aus den vier Parteien bestehenden Obersten Nationalen Rates, der bis zur Durchsetzung des Ergebnisses freier Wahlen die höchste legislative und exekutive Gewalt ausüben soll,

-freie Wahlen zu einer konstituierenden Nationalversammlung unter der Kontrolle der Vereinten Nationen.

Dieses Lösungsmodell würde die Gefahr einer erneuten alleinigen Machtergreifung durch die Roten Khmer oder einer anderen Khmer-Fraktion wirksam ausschließen.

Eine Friedensregelung für Kambodscha ist also ohne eine Beteiligung der Roten Khmer nicht zu erreichen. Das wissen auch Vietnam und das Regime in Phnom Penh. Beide hoffen jedoch auf eine baldige wirtschaftliche Unterstützung und politische Anerkennung der pro-vietnamesischen Regierung von Hun Sen durch einige westliche Staaten und auf weitgehende Einstellung der ausländischen Hilfe für den Widerstand und erwarten dadurch eine Stärkung der Position der Regierung in Phnom Penh und eine entscheidende Schwächung der Widerstandsgruppen. Doch größere militärische Erfolge der Roten Khmer und der Sihanoukisten in den nächsten Monaten und die vollständdige Einstellung der sowjetischen Hilfe zum Ende des Jahres 1990 dürften einen dicken Strich durch diese Rechnung machen und das Hun-Sen-Regime an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Im Falle einer solchen Entwicklung könnte es bereits im Verlauf des Jahres 1991 zu weitreichenden Kompromissen der Regierungen in Phnom Penh und Hanoi und damit zu einer dauerhaften Lösung des Kambodscha-Konflikts kommen. Hierfür ist jedoch zunächst eine konsequente und harte Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber Vietnam und dem Hun-Sen-Regime notwendig. Die von den USA angekündigte Aufnahme humanitärer Hilfe für die Regierung in Phnom Penh und die Aberkennung des UNO-Sitzes für die von Prinz Sihanouk geführte Widerstandskoalititon werden jedch die Regierungen in Hanoi und Phnom Penh in ihrer kompromißlosen Haltung nur noch bestärken und damit nicht zu einer baldigen Konfliktlösung, sondern zu einer Verlängerung des Krieges und der Leiden in Kambodscha beitragen.

Der Autor ist Referent am Institut für Asienkunde, Hamburg, und unter anderem Verfasser des Standardwerkes „Indochina Der permanente Konflikt?“ (Hamburg 1987)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen