piwik no script img

Wo Bös‘ war, soll Gut werden

■ Todesstreifen, Reichskanzlei- und Führerbunker-Terrain als Friedensschauplatz

Freiflächen gibt es genug in Doppel-Berlin. Niemand müßte sich zwecks Kulturgenusses ausgerechnet in den von Unkrautvertilgungsmitteln vergifteten und bis gerade eben noch mit Munition durchmengten märkischen Sand auf dem Todesstreifen zwischen Potsdamer Platz und Brandenburger Tor werfen. Aber die Opfershow „The Wall“ rechnet schließlich nicht nur mit englischen Pfund, deutschen Mark und amerikanischen Dollar, sondern auch mit dem Grusel dieses Ortes, der den Zuschauern das Katastrophenhelfen inkl. „mahnendes Gedenken an die Opfer des Krieges dieses Jahrhunderts“, näher, quasi unter die eigene Sitzfläche bringen soll, was „von keinem Platz der Welt aus besser verstanden“ würde „als vom Potsdamer Platz aus, dem Sitz der Reichskanzlei, von dem aus der Zweite Weltkrieg geführt wurde“, wie man in den PR-Headquarters des „Fund“ textete. Bei der Vorgänger-Veranstaltung vor zwei Wochen, als Lorin Maazel am selben Ort ausgerechnet Mahlers „Auferstehungssymphonie“ zugunsten einer obskuren „Ost-West -Kulturstiftung“ vor viel zu wenig Zuschauern dirigierte, hatte man den Blick noch beinahe schamhaft ausschließlich auf den Mythos Potsdamer Platz gelenkt (“...einst verkehrsreichster Platz Europas“, “...Bindeglied zwischen historischer Stadtmitte und elegantem Neuen Westen“, „...erster Mauerdruchbruch am 10. November“ etc.). Die Kriegs-Erinnerungs-Strategen hingegen gehen in die Offensive. Gerade an diesem Ort, von dem soviel Böses ausgegangen war, soll nun dem Guten gehuldigt werden. Wo der Abfang-Jäger zum Almosen-Sammler wird, wird auch der Saul -Ort zum Paul-Ort. Daß auf dem Spektakel-Gelände einst Hitlers Neue Reichskanzlei sowie die Gärten diverser Ministeriengebäude standen, daß ein großer Teil des Geländes vermutlich noch heute unterhöhlt ist von der weitläufigen unterirdischen Bunkeranlage, von der aus Hitler und sein Gefolge zum Schluß den totalen Krieg dirigiert hatten - all dies stellt für die Welt-Friedens-Treiber offenbar keine geschmackliche Niederlage, sondern eher einen publizistischen Sieg dar und mobilisiert die Fernsehkameras dieser Welt.

So hatte die zuständige Volkspolizei im Rahmen der Munitionssuche auf dem immer noch von der Nationalen Volksarmee der DDR „gesicherten“ Gelände („124.000 Schuß Infantrie Munition, 28 Panzerfäuste, 3 Sprengpatronen, 79 sprengkräftige Zündmittel, 1 Granate, 1 Stabbrandbombe, 2 Bomben, 1 Rakete, 3 Gewehre, 3 Pistolen, 3 leichte Maschinengewehre, 6 Waffenteile“, telefaxte der Pressestab) auch einen Bunkerteil wiederentdeckt, der nicht nur höchstwahrscheinlich der SS-Leibstandarte „Adolf Hitler“ als Kantine gedient hatte, sondern überdies auch noch mit brachial-ästhetischen Nazi-Wandmalereien bebildert war. „Damit das in England deutlicher rüberkommt, was das für ein Platz ist“, so gestand man, habe man gar nicht anders gekonnt, als diverse englische Kamerateams durch den gefundenen Freß-Bunker zu führen.

Die nächste Lage Symbolsuff auf dem Todesstreifen schmeißt übrigens im August die ehemalige schwer alternative Ufa -Fabrik mit einem ost-westlichen Theaterfestival. Denn nicht nur bei Bombers, sondern auch im Musen-und-Müsli-Kollektiv wird sich jetzt an der Vergangenheit vergangen: „Es geht um die Verkündung eines Neuanfangs“, schreibt nicht etwa Helmut Kohl, nicht Captain Cheshire, sondern diesmal der alternative Öffentlichkeitsarbeiter.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen