: Weser-Report: Abschreiben befriedigend
■ WR-Chefredakteur Ronald Famulla kupfert hemmungs- und vorwarnungslos ab
Was ist ein Journalist? Schwierige Frage? Seit einer Woche kennen wir eine mögliche Antwort, und die verdanken wir dem Weser-Report. Ein Journalist ist ein Mann, der andere Zeitungen nicht bloß liest, wie die übrige Menschheit auch, sondern sein Geld damit verdient sie abzuschreiben.
Treue LeserInnen des Bremer Anzeigen-Blättels „Weser -Report“ werden sich womöglich erinnern: Am 15. Juli fanden sie unter der Überschrift „Märchen in der Ägäis“ erstens einen Reisebericht über griechische Inseln und zweitens einen persönliche Appell: Unter der Telefon-Nummer 3666115 war die geneeigte WR-LeserInnenschaft aufgefordert, ihre schönsten und schlechtesten Urlaubserlebnisse zum Weser -Report-Besten zu geben. Und damit die geneigte Leserschaft gleich wußte, wo die WR-Neugier urlaubsmäßig langgeht, hatte Chefredakteur Ronald Famulla ein Beispiel dazu-oder - um der Wahrheit die Ehre zu geben - abgeschrieben. Ein idyllisches kleines Textchen über idyllische kleine Ägisinselchen mit idyllischen kleinen Tavernchen und die idyllischen Erfahrungen einer gewissen und 48-jährigen Reinhild Almacher.
Einziger Haken der Geschichte: Reinhild Almacher hat den WR -Report-Chefredakteur Famulla ihr Lebtag nicht gesprochen, geschweige denn ihre Ägisgeheimnisse anvertraut. Ronald Famulla kennt Frau Almacher überhaupt nicht. Alles was Roland Famulla kennt, ist ein Bremer Zeitkiosk, der die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) zu seinem Sortiment zählt und auch Herrn Famulla den Erwerb eines Exemplars der Ausgabe vom 9. Juli 1990 nicht verwehrte.
Und tasächlich: In eben dieser Ausgabe bekennt die WAZ -Leserin Reinhild Almacher der WAZ-Redakteurin Susanne Schübel z.B., daß „schon die Überfahrt nach Agatonsini eine Geschichte (ist), wie sie eigentlich nur in der Ägäis passieren kann“ und „die altersschwache Fähre wegen Motorschadens nach stürmischer Überfahrt erst nachts um 1.30 Uhr auf der kleinen Insel“ ankam. Eine Woche später weiß der WR zu wörtlich zu vermelden: „Schon die Überfahrt zur Insel Agatonsini ist eine Geschichte, wie sie eigentlich nur in der Ägäis passieren kann. Die altersschwache Fähre kam wegen Motorschadens nach stürmischer Überfahrt erst gegen 1.30 Uhr auf der kleinen Insel an.“ Und so weiter und so WAZ.
„Wir sind fast vom Stuhl gefallen, als wir durch Zufall von den journalistischen Arbeitsmethoden des Herrn Famulla erfahren haben,“ bekannte WAZ-Redakteur Wolf jetzt gegenüber der taz.
Roland Famulla saß auf taz-Nachfrage dagegen noch fest und besten Gewissens auf dem seinen: „Ich habe keinen Grund gesehen, die WAZ-Kollegen anzurufen. Ich habe auch so unterstellt, daß ihre Geschichte wahr ist.“ Bei der WAZ dankt man für die Ehre, nun nicht obendrein auch noch der Lüge bezichtigt zu werden. Beim WR wird inzwischen eine Rubrik gepflegt unter dem Motto: „Wer reist, kann viel erzählen. Gutes und Schlechtes. Sabine Ursel am WR -Urlaubstelefon freut sich auf ihre Gschichte.“ Raten Sie mal was am 9.10 in der WAZ stand. Richtig: Der Name lautete anders.
K.S.
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