„Daddy ist auf der Autobahn“

■ Wie Ludwigsfelde, das märkische Wolfsburg, mit Hilfe des Stadtjubiläums die Versorgungskrise meisterte / Ein Besuch bei Trucker-Treff und Exotenschau in der Ex-Zwangsarbeiter-Stadt

Ludwigsfelde. Aus dem Clubhaus Walter Ladewig tönt der Lambada des Wendeherbstes, zwischendurch preist der Diskjockey Danziger Goldwasser für 8,99 Mark an, grüßt Karla ihre Mutti am Wolleverkaufsstand, wird der Bürger zum Besuch der abendlichen Country Party aufgefordert. „Staunen Sie nicht, kaufen Sie“, knallt es nach dem Schlager Palma de Mallorca lädt uns alle ein aus dem Lautsprecher, „zehn Flaschen Stierblut für zwanzig Mark“.

Vor einem Jahr wäre das alles nicht möglich gewesen. Ein historisches Glück für die Stadt Ludwigsfelde, daß sie das 25jährige Jubiläum der Verleihung der Stadtrechte im Juli 1990 begehen darf. Denn mit der Feier am Wochenende kam nicht nur der Westen endgültig her (John-Wayne-Ikone mit eingebauter Uhr für 129 Mark): nein, auch die prä- und postsozialistische Versorgungskrise wurde mit Macht bekämpft: grelle Badematten, Pfannen-Set ohne Fett, EG -Gemüse, Hochdruckreiniger fürs Auto, Kunststoff-Fenster, Nürnberger Versicherungen im Zeichen der Burg, ADAC -Beitrittsformulare, Mini-Kakteen. Das Obst aus Werder frisch von den Bauern und Bäuerinnen, die unter den Hammer der Arbeitslosigkeit müssen lagert etwas am Rand.

Ludwigsfelde, das ist das kleine Wolfsburg der Mark Brandenburg, wo das Kino noch 3,50 kostet, wo ein Fahrrad mit Chopper-Lenker und Bonanza-Sattel noch Aufsehen erregt, wo man stolz ist auf das EM-Qualifikationsspiel DDR-UdSSR der Fußballjugend im Waldstadion. In der „Galerie am Eck“, dem kleinen Kulturpavillion der Stadt der Automobilbauer, hält ein braungebrannter Westler in Tennis -Shorts breit-bräsig Vorträge: „was erhaltenswert ist bei Euch in der DDR“. Natürlich nichts. Die junge Frau, die Broschüren verkauft, versucht die Kinderkrippen-Frage ins Spiel zu bringen. Vergeblich, der Mann schwafelt expertenmäßig weiter. An den Wänden Photos und Dokumente aus den letzten 25 Jahren Wohnsiedlung & IFA-Lastwagen-Kombinat: vom Motorroller Troll, der Übergabe der Volksschwimmhalle bis zur Zweiten Campingmesse 1987: Eine junge Stadt mit ewigen Baustellen.

Doch außen vor bleiben die dunklen Kapitel der Ortsgeschichte. Denn erst die Rüstungsproduktion des Daimler -Konzerns, der jetzt bald wieder das IFA-Werk übernimmt, machte aus dem Dorf (1933: 224 Einwohner) eine Stadt mit Autobahnanschluß. Bis zur Befreiung durch Sowjet -Panzertruppen wurden hier 35.000 Flugzeugmotoren für den Krieg produziert. An die 10.000 Kriegsgefangene, „Ostarbeiter“, Zwangsarbeiter aus halb Europa schufteten für den Konzern, wurden von den Zivilarbeitern durch Schläge zu Hochleistungen angetrieben. Viele verhungerten und erfroren in den Baracken. 1944 errichtete die SS ein Außenkommando des KZ Sachsenhausen auf dem Werkgelände. Wer sich Kartoffeln stahl, um zu überleben, wurde hingerichtet. 1943 ermordete die Gestapo in einem Monat mehr als vierzig Polen und Russen.

Bei der Jubiläumsfeier ist der gute Stern wieder da. Unweit der letzten erhaltenen Lagerbaracke, wo einst die Aufseher wohnten und heute die Stadt verwaltet wird, wird stolz der nagelneue Krankenwagen des Zossener Roten Kreuzes gezeigt, gestiftet von der Daimler-Benz AG.

Hinter dem Clubhaus, zwischen Trucker-Treff und Exotenschau verkauft eine Western-Lady namens Cissy Bratkartoffeln mit Ei und Speck - und eine Single, die sie selbst besungen hat: Daddy ist auf der Autobahn.

kotte