Der Elektrische Stuhl und die Verfassung

Die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine ganz wunderbare Verfassung. Sie verbietet zum Beispiel „grausame und ungewöhnliche Bestrafungen“. Das Töten von Menschen, sei es in der Gaskammer, auf dem elektrischen Stuhl oder mit Hilfe einer Giftspritze gilt jedoch weder als grausam noch als ungewöhnlich. Die Todestrafe war zwar für eine kurze Zeit abgeschafft worden, aber 1976 erklärte der Oberste US -Gerichtshof das Töten ausdrücklich für verfassungskonform. Seitdem starben 135 Menschen auf staatliche Anordnung. Das letzte Opfer war der 27jährige Richard Boggs, er starb vor zehn Tagen auf dem elektrischen Stuhl in Richmond, Virginia. Der Oberste Ge

richtshof hatte zuvor mit sieben gegen zwei Stimmen einen Aufschub abgelehnt. Die Anwälte des Verurteilten hatten vergeblich geltend gemacht, ihr Mandant leide an einer Gehirnerkrankung, und der elektrische Stuhl in Richmond könne möglicherweise ebenfalls nicht richtig funktionieren wie der in Florida.

Im sonnigen Florida war es nämlich nach einer Hinrichtung am 4. Mai zu Protesten gekommen. Die anwesenden Zeugen hatten beobachtet, daß sich der Verurteilte noch nach dem dritten Stromstoß bewegte und daß Flammen und Rauch aus der Maske drangen, die sein Gesicht bedeckte. Die Rechtsanwälte von fünf zum Tode verurteilten Häftlingen hatten daraufhin vor Gericht den technischen Zustand des Stuhls bemängelt. Nach ihrer Darstellung versagte eine Elektrode am Kopfteil. Dadurch

seien statt der tödlichen 2.400 Volt nur 90 bis 100 Volt durch den Körper des Opfers gejagt worden. Zwei Pflichtverteidiger mittelloser Todeskandidaten hatten gar angeboten, 4.000 Dollar für eine neue Elektrode zu spenden. Nach der Anschaffung

würden sie ihre Beschwerden zurückziehen. Die Gerichte schoben die Hinrichtungstermine der fünf Mandanten auf, doch nur in einem Fall wurde der Aufschub ausdrücklich mit der Beschwerde begründet. Der Gouverneur von Florida, Bob Martinz, ein feuriger Befürworter der Todesstrafe, meinte allerdings: „Der elektrische Stuhl funktioniert sehr gut. Der beste Test wird sein, wenn der nächste sich draufsetzt.“ Das Töten wird also weitergehen und demnächst vielleicht sogar live im Fernsehen zu verfolgen sein. Der kalifornische Fernsehsender KQED will Hinrichtungen aus der Gaskammer von San Quentin übertragen. In einer Zivilklage gegen die zuständigen Justizbehörden bringt der Sender vor, das derzeitige Sendeverbot verstoße gegen die in der US -Verfassung garantierte Pressefreiheit.

Karl Wegmann