: Das Nachsehen haben die Wissenschaftlerinnen
■ „Marktgängig“ soll auch die Ostberliner Akademie der Wissenschaften werden / Umstrukturierungsprogramme drohen Frauen mit Arbeitslosigkeit und Entqualifizierung / Die erste Gleichstellungsbeauftragte an der AdW kämpft für die Quote und träumt von feministischer Frauenforschung
Von Albert Engelhardt
„Der Männerbund Akademie muß daran gehindert werden, Frauen und Frauenrechte als erstes zu opfern, wenn die Akademie 'marktgängig‘ gemacht wird.“ Christine Waltenberg, erste Gleichstellungsbeauftragte an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften, will sich für ihre Kolleginnen stark machen. Aber ob sie sich durchsetzen kann? In den nächsten Monaten soll der Personalbestand der Akademie um ein Drittel gekürzt werden. Die weiblichen Beschäftigten der Akademie, die im Herbst letzten Jahres auch auf die Straße gingen, ihre Ansprüche anzumelden, sehen sich nun als erste Opfer des Umbaus der Forschungseinrichtungen in der DDR.
In den zurückliegenden Monaten erstritten sich die Frauen am „Runden Tisch“ der Akademie eine Gleichstellungsbeauftragte. Die 48jährige Christine Waltenberg wurde in dieses Ehrenamt berufen. Was ist ihr wichtigstes Vorhaben? Die Sozialwissenschaftlerin wird nachdenklich. „Wenn ich es mir wünschen könnte, stünde die Etablierung einer stabilen Frauenforschung - von den Natur bis zu den Sozialwissenschaften, als interdisziplinäres Projekt - ganz oben auf der Prioritätenliste.“ Feministische Theorie hält sie für die Wissenschaftsentwicklung in den Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften für „ganz wichtig.“ Die aber „hat in den vergangenen Jahren an unserer Akademie keinen Eingang gefunden“. Heute aber werden ihre Pläne von anderen Problemen überlagert; arbeitsrechtliche und soziale Fragen treten in den Vordergrund.
Dreimal mehr Routinearbeiten
Ein Blick in die Personalstatistik offenbart die jahrelange Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen an der Akademie, die zu überwinden die „Initiative Frauen in der Wissenschaft“ angetreten ist. Knapp die Hälfte aller Beschäftigten sind weiblich. Unter dem 8.000 MitarbeiterInnen umfassenden Forschungspersonal finden sich aber nur noch 16 Prozent Frauen. Je höher die formale Qualifikationsstufe oder interne Leitungsfunktion, desto geringer wird der Frauenanteil (Habilitierte: 90 von 1.200, Professuren: 29 von 600, stellvertretende DirektorInnen: vier von 96, Spitzenfunktionen: keine von 77). Zahlen, die nicht nur für die Akadamie, sondern leicht modifiziert auch für das gesamte Hochschulwesen der DDR zutreffen, wie Christine Eifler, Frauenforscherin am Zentralinstitut für Hochschulbildung, als Mitautorin der kürzlich veröffentlichen Studie Wozu Forschungen über Frauen im Hochschulwesen? belegen kann. Ihre auf Interviews und Briefen beruhenden Untersuchungsergebnisse zeigen: die schlechtere Leistungsbewertung und die geringeren formalen Leistungsnachweise der Frauen sind logische Konsequenz ihrer Situation im Forschungsprozeß und ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen. „In der Wissenschaft müssen Frauen in der Regel mehr leisten, um anerkannt zu werden“, bestätigt Christine Waltenberg. „Frauen sind dreimal mehr als Männer mit Routinearbeiten beschäftigt. Sie haben weniger Zugriff auf originelle Forschungsthemen, sie können weniger erfolgreich an Büchern oder Patenten arbeiten, sie haben weniger Chancen, sich in der internationalen 'Community‘ zu etablieren.“ Frauen werden weniger zitiert und weniger zu Kongressen eingeladen. Man(n) fragt weniger nach ihnen. So kommen Qualifikations- und Statuspyramiden zustande.
„Lebensform Wissenschaft“ als Tortur
Die häusliche Arbeitsteilung folgt auch in der DDR den tradierten Mustern. Sozialpolitische Errungenschaften - wie zum Beispiel der Haushaltstag oder das Babyjahr verfestigen aus heutigem Blickwinkel eher die diskriminierende Rollenzuweisung. Gerade für Wissenschaftlerinnen: Wer für längere Zeit aus dem Forschungsprozeß raus ist, sieht sich bei der Rückkehr mit gewachsenen Strukturen in der Forschungsgruppe konfrontiert, die interessanten Themen sind schon vergeben. Der Anschluß wurde verpaßt. Hinzu kommt die verbreitete Mißachtung intellektueller Arbeit, ihre schlechte materielle Dotierung, die ebenfalls zu Lasten der dann nochmals geringer bezahlten Wissenschaftlerinnen geht. Die Erziehung der Kinder und Haushaltsarbeiten verlangen den Frauen oft Nachtarbeit ab; beengte Wohnverhältnisse (kein Platz für einen Schreibtisch, die Bücher unter den Betten im Schlafzimmer) machen für viele Frauen die „Lebensform Wissenschaft“ (Waltenberg) zur Tortur.
Christine Eifler (41) betreibt Frauenforschung seit Jahren quasi nebenbei, neben ihrer „eigentlichen Arbeit“ und wesentlich inspiriert durch ihre Kontakte zur westdeutschen Frauenbewegung. Nur so konnte sie auch zum Thema Feminismus habilitieren. Hannelies Nowak (43) schreibt es der Chance zu, an einem sowjetischen Forschungszentrum und am CERN in Genf arbeiten zu können, daß sie ihren beruflichen Weg in der Hochenergiephysik konsequent gehen und kürzlich ihre Habilitationsschrift fertigstellen konnte. Sie ist optimistisch und fürchtet nicht um den Arbeitsplatz in ihrem Institut. „Wir brauchen uns nicht zu schämen. Wir wissen, wo wir stehen, was wir können.“
Angelika Carl, aus familiären Gründen nur teilzeitbeschäftigte Informatikerin und ebenfalls zur Akademie-Initiativgruppe gehörend, leidet dagegen unter den geringen Möglichkeiten, ihre wissenschaftlichen und privaten Ansprüche miteinander zu verbinden. „Ich kann nicht als Mutter von drei Kindern alles fallen lassen. Dann läuft nichts mehr. Dann verwahrlosen meine Kinder. Über diesen Schatten kann ich nicht springen.“ Ihr Mann, profilierter Professor an der Akademie, verlangt von ihr Zurückhaltung; sie trägt die Last. „Daß ich meinen Mann liebe, das macht es erträglich.“ Die 38jährige lebt mit der Frustration, noch nicht promoviert zu sein und wahrscheinlich niemals Zeit für ihre Dissertation zu finden.
Mittelmäßige Männer - „belastete„Frauen
Soll die Akademie „marktgängig“ gemacht werden, wird sich die Arbeits- und Lebenssituation dieser Frauen noch verschlechtern. Unter den Wissenschaftlerinnen werden Mütter mehrerer Kinder, Alleinerziehende, ältere und Sozialwissenschaftlerinnen besonders betroffen sein. Die Akademie-Frauen und ihre Gleichstellungsbeauftragte fordern deshalb quotierte Umschulungs- und Umstrukturierungsprogramme.
Sybill-Anka Klotz (29), promovierte Philosophin an der Humboldt-Uni und im Unabhängigen Frauenverband aktiv, hat erlebt, wie durch die auch von ihr befürwortete Auflösung der Sektion Marxismus-Leninismus über 200 Leute „freigesetzt“ wurden. Unter den bis heute noch nicht Vermittelten sind Frauen eindeutig die Mehrheit. Und die weitervermittelten Frauen wurden - im Gegensatz zu ihren Kollegen - überwiegend nur im Dokumentations- oder im Verwaltungsbereich, nicht in der Wissenschaft untergebracht. Selbst Spüldienste in der Mensa gab es im Angebot. Heute wird bei Umgruppierungs- und Einstellungsgesprächen wieder offen nach Kinderzahl und Kinderwünschen gefragt; mittelmäßige Männer werden dann begabten, aber „belasteten Frauen“ vorgezogen.
Der drohende Arbeitsplatzverlust und die Unsicherheit der kommenden Lebensumstände fördern unter den Wissenschaftlerinnen nicht nur Wut und Ansprüche, sondern auch Tendenzen der Resignation und des Zurücksteckens. „Die Zahl derjenigen, die ihre Ängste wie ihre reale Diskriminierung aus dieser individuellen Sphäre rausziehen und als gesellschaftliches und soziales Problem begreifen, ist nach wie vor in der Minderheit“, sagt Sibyll Anka Klotz.
Die Forderung der Akademie-Wissenschaftlerinnen nach Quotierung stößt so nicht nur bei Männern auf Ablehnung, auch vielen Kolleginnen geht die Quote zu weit. „Da höre ich dann: Wenn wir jetzt die Quotierungsforderung stellen, sind wir als erste draußen“, sagt Christine Waltenberg. Die Maxime vieler Kolleginnen laute: nur nicht auffallen.
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