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Ein Mord in der „Homoszene“

■ Fast unisono nutzte die Münchner Lokalpresse den Mordfall Sedlmayr, um sich am „Homomilieu“ bzw. dem, was sie dafür hält, aufzugeilen

Von Günter Reisbeck

Gerade einen Tag nach der Christopher-Street-Day-Demo der Münchner Schwulen, Lesben und Aids-Aktivisten am 4.Juli wird der Schauspieler Walter Sedlmayr ermordet. Während die Schwulenaktion in der Münchner Lokalpresse sehr bescheidenen Widerhall fand, sollte der Tod des bayerischen TV-, Film und Werbeidols (Paulaner Bier) Medienereignis Nr.1 für die nächsten Tage werden. Denn Sedlmayr war schwul und damit gab's kein Pardon mehr für die Lokalgazetten (neben der 'Süddeutschen Zeitung‘ und dem CSU-Sprachrohr 'Münchner Merkur‘ liefern sich vor allem die drei Boulevardblätter 'Abenzeitung‘ ('AZ‘) 'tz‘ und 'Bild-München‘ einen unerbittlichen Konkurrenzkampf um jeden Leser).

Das Strickmuster, nach dem die gestartete Medienkampagne nun abläuft, ist ebenso simpel wie widerlich: Zuerst wird die Verbindung Sedlmayr-Mord - „Homomilieu“ hergestellt und dann wird sowohl dieses „Milieu“ als auch das vermeintliche Leben Sedlmayrs im Münchner Blätrerwald ohne Rücksicht „aufgedeckt“.

„Polizei vermutet Täter unter Homosexuellen“, meldet der 'Merkur‘ am 17.7., und für die 'tz‘ vom gleichen Tage fahndet die Polizei im „homosexuellen Milieu“. Auch für die 'AZ‘ handelt es sich am 17.7. um einen Mord im „Homo -Milieu“, über dessen Innenwelt die Blätter dann am 18.7. aufklären: 'Bild‘ fragt auf Seite1: „Welche Rolle spielt das Pimpernel?“ im Mordfall und führt den Leser in diese Bar, in der „Homosexuelle und Lederfetischisten verkehren, in der Männer auch mit Männern tanzen“. „Aus dieser Bar heraus ließ der Sedlmayr seine Liebhaber besorgen. Junge Männer, die auf Wunsch ihre Partner sadistisch erniedrigen, sie sogar auspeitschen“. Die 'tz‘ schildert den „im Schwulenmilieu einschlägig bekannten Männerstrich“ im Alten Botanischen Garten.

Schwul Strich kriminell, eine klare Verbidnung, wobei sich lediglich die Lokalredaktion der 'SZ‘ derartiger assoziativer Verknüpfungen enthält. 'AZ‘ und 'tz‘ berichten dann zwar am 19.7. über eine Stellungnahme des Bundesverbands Homosexualität, in der dieser darauf hinweist, daß Morde an Schwulen in der Regel von Heterosexuellen und nicht von „homosexuellen Kreisen“ verübt werden. Dies hat aber kaum Einfluß auf die Berichterstattung der 'AZ‘, die am 20.7. unter der Überschrift „In Schwulen -Lokalen geht die Angst um“ wieder ausschließlich über Stricherkneipen berichtet („Peter, Geschäftsmann, in Jeans und Cowboy-Stiefeln, steht auf knackige Jungs“). Extralorbeeren verdienen sich dann noch 'Bild‘ und 'tz‘, die am 20. und 21.7. mit Schmuddelgeschichten aus dem Sexualleben des Ermordeten aufwarten. Besonders peinlich wird es schließlich bei der 'AZ‘, die am 20.7. und am 23.7. gleich in zwei Kommentaren zum Ende der Schwulendiskriminierung aufruft, an der sie gerade tagelang selbst tüchtig mitgeschrieben hat.

Zum Wochenende, als sich immer mehr der Verdacht erhärtet, daß der Mörder vielleicht doch der (heterosexuelle) Privatsekretär des Schauspielers sein könnte, ist es dann plötzlich vorbei mit „Homo-Milieu“ und „Homo-Szene“, und im Privatfunk 'Antenne Bayern‘ diskutieren am Samstag artig Kommunikationswissenschaftler und Journalisten das Thema „Walter Sedlmayr - was dürfen die Zeitungen“. Nutzen dürfte das den Schwulen nach einer Woche anti-schwuler Medienkampagne wenig. Sie können sich allenfalls wieder einmal die Wunden lecken und feststellen, daß es vom kriminellen „Homomilieu“ noch ein weiter Weg zur geachteten „gay community“ ist.

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