Von nirgendwo ins Irgendwo

■ Aki Kaurismäkis „Leningrad Cowboys“

Der Film beginnt mit einem Schwenk von nirgendwo ins Irgendwo. Es ist das Irgendwo des Aki Kaurismäki. Welke Gräser, mit Rauhreif überzogenes Brachland, die Kamera erfaßt kurz einen Traktor und kriecht weiter über die eintönige Ackerkrume der Tundra. Dann kommt völlig überraschend ein Mensch ins Bild. Doch die Kamera gleitet ungerührt über den Mann hinweg, der dort am Boden liegt, mit einer Gitarre in der ausgestreckten Hand, einer überdimensionalen Frisur und abenteuerlich spitz zulaufenden Schuhen - und offensichtlich ebenso steifgefroren wie die Vegetation um ihn herum.

Seine Kumpanen leben noch. Auch sie schieben ihre schwarze Haarpracht wie einen Schnabel vor sich her, eine Eigenschaft, die bei ihnen angeboren zu sein scheint, denn schon die Wickelkinder stoßen mit dem Haar die Steppdecke zurück. Außerdem spielen sie Musik - und das ziemlich schlecht. Eine finnische Band, schon immer eine Zumutung für das Publikum, aber dennoch fest entschlossen, sich etwas vorzumachen - und sei es die Hoffnung auf die Entdeckung als übelste Untergrundband. Davon handelt der Film.

Später wird der Manager der Band zum Oheim in der Bretterhütte sagen, daß der Bassist nachts noch draußen üben mußte und dabei wohl nicht bemerkt habe, wie der Alkohol in seinen Blutbahnen zu Eis gefror. Pech, aber kein Beinbruch. Denn der Manager hat längst andere Sorgen, vor allem, nachdem ein durchreisender Plattenproduzent den „Leningrad Cowboys“ trotz toller Tolle nicht allzu viel Komplimente gemacht hat. Mit schmerzverzogener Miene hatte er den folkloristischen Verkrampfungen der Band zugehört und dann der schon fast rührend schlechten Combo den Tip gegeben, es doch jenseits des großen Teichs zu probieren.

Kaurismäki schickt die skurrilen Finnen in die große Freiheit der Neuen Welt - den stocksteifen Eismann immer im Handgepäck mit dabei - und läßt sie im Watschelgang von Auftritt zu Auftritt trippeln, anders können sich die Musiker in ihren Superlatschen auch kaum bewegen. Eine Groteske also. Doch das allein macht noch keinen guten Film. Kaurismäki übertüncht den amerikanischen Traum mit grellen Farben und schafft ihn neu. Seine Finnen sind amerikanischer als ganz Amerika, dagegen sind die Motorradrocker, die Latinos und Barbesitzer, die Kaurismäki von der Straße weg spontan vor die Kamera holte, nur blasse Epigonen. Amerikanisch denken, heißt, den Nationalstolz zu begraben und englisch zu sprechen. Ein Schnellkursus im Jet reicht den „Leningrad Cowboys“ völlig, womit Kaurismäki ganz nebenbei beweist, welcher Sorte Film die Zukunft gehört der englischsprachigen.

Je kürzer Kaurismäkis Filme werden, um so besser wirken sie. Dieser dauert nur 78 Minuten. Je kürzer Kaurismäkis Szenen ausfallen, um so praller sind sie mit Inhalt gefüllt. Manchmal dauern sie kaum eine Minute, aber sie erzählen die Geschichte eines ganzen Films. Schamlos reiht er Filmzitate aneinander, durchstreift die Sümpfe und Gefängniszellen von Down by Law und bedankt sich bei Jim Jarmusch mit einer kleinen Nebenrolle als Autohändler. Es genügen nur wenige Hinweise, ein paar karge Einstellungen und die Urthemen des Kinos rollen ab - Boy meets Girl, der ausgestoßene Sohn, Macht und Ohnmacht.

Erst wenn gegen Ende des Films das Slapstick-Feuerwerk langsam ausgebrannt ist, könnte einem auffallen, daß Kaurismäki hinter den lärmigen Späßen auch etwas von den größeren Zusammenhängen erzählt hat. Über die Beziehungen zwischen den Menschen und ihren Hoffnungen etwa oder über die Einsamkeit am Rande einer Gesellschaft, wo nur Leistung und Erfolg zählen. Kaurismäki bleibt konsequent bei seiner Hommage an den schlechten Geschmack und verkneift es sich, in irgendeiner Weise an der Legende des Tellerwäschermillionärs mitzuwirken.

Das Großartigste an den „Leningrad Cowboys“ ist, daß sie so maßlos schlecht sind. Und dabei so hinreißend, daß man sie sofort mögen muß. Der Regisseur weiß den Enthusiasmus der Kritiker für seinen kleinen, originellen Seitenhieb auf den Rock'n'Roll und Amerika zu schätzen. „Die sind masochistisch veranlagt“, sagt er zu seinen Fans und gibt vor, von dem Film unbeeindruckt zu sein. Was sollte an Musikern, die unter ihren dicken Fellmänteln schwarze Anzüge tragen und wie besoffene Pinguine durch Amerika torkeln, interessant sein? Nichts und alles zugleich, weil es so köstlich daneben ist.

Christof Boy

„Leningrad Cowboys Go America“, Finnland 1989, mit Matti Pellonpää, Kari Väänänen, Jim Jarmusch u.a., Regie: Aki Kaurismäki