Beim falschen Siegfried gibt's Alarm

■ Heute soll mit dem Abzug des Giftgases begonnen werden / Das Codewort heißt „Siegfried“, ebenso wie der Einsatzleiter / Gestern war über die Beschwerde gegen den Abtransport noch nicht entschieden

Von Andreas Zumach

Hoffentlich halten sich alle Beteiligten an der „Operation Lindwurm“ die heute morgen beginnen soll, an die offizielle Dienstsprache zwischen Befehlsgebern und -empfängern. Denn sollte einer der zahlreichen Polizisten und Sicherheitsexperten den obersten Einsatzleiter für den Giftgastransport vom Lagern Clausen über die Straße ins Bundesbahndepot Miesau beim Vornamen rufen, könnte dies sofort C-Waffenalarm auslösen: „Siegfried“ lautet das inzwischen nicht mehr geheime Codewort zur Auslösung des Alarms im Falle eines Unfalles. Und Siegfried heißt auch der als Einsatzchef fungierende leitende Polizeidirektor Korb von der Bezirksregierung im pfälzischen Neustadt. Doch möglicherweise kann Korb morgen ausschlafen, und muß nicht schon um 6.15Uhr zum anberaumten Fototermin vor Beginn des für zwischen 8 und 11 Uhr geplanten ersten Konvois von Clausen nach Miesau erscheinen. Denn noch gestern, jedoch nach Redaktionsschluß für diese Zeilen, wollte das Oberwaltungsgericht Münster über die Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Klage auf Untersagung des Transportes wegen ungeklärter Sicherheitsfragen durch das Verwaltungsgericht Köln vom 20.Juli entscheiden. Der Mannheimer Rechtsanwalt Günter Urbanczyk hatte diese Beschwerde am Dienstag abend in Köln eingelegt. Darin verlangt er von den Münsteraner Richtern falls eine Entscheidung in der Sache auf Grund der umfangreichen Aktenlage bis gestern abend nicht möglich sei, die Bundesregierung durch eine einstweilige Verfügung zu veranlassen, den Transport bis zu einer endgültigen Entscheidung auszusetzen. Gestern morgen entschied das Kölner Verwaltungsgericht, die Beschwerde an das OVG nach Münster weiterzuleiten. Die Bundesregierung ließ Urbanczyk durch ihre Rechtsanwälte wissen, daß sie nach der erstinstanzlichen Zurückweisung der Klage durch das Kölner Gericht „keine Veranlassung sieht, mit dem Transport zu warten, bis eine etwaige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vorliegt“.

In seiner ausführlichen Beschwerdebegründung führt Urbanczyk zwei erst während des Verfahrens vor dem Kölner Verwaltungsgericht getroffene Maßnahmen der für den Giftgastransport Verantwortlichen an: Erst am 19.Juli, drei Tag nach Einreichung der Klage und einen Tag vor der Kölner Entscheidung, ordnete das Bundesverkehrsministerium den Sofortvollzug für eine auf den 5.Juli datierte Ausnahmegenehmigung für den Bahntransport von Miesau zum Nordseehafen Nordenham entsprechen der Gefahrgutverordnung Eisenbahn (GGVE) an. Diese Verfügung, so Urbanczyk, sei „rechtswidrig“, da das „besondere öffentliche Interesse an dem sofortigen Vollzug“ hätte schriftlich begründet werden müssen. Auch erst am 19.Juli und nur „unter Druck des Gerichtsverfahrens“ und „vermutlich auf Anraten“ der Rechtsanwälte der Bundesregierung habe das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Heidelberg die Sondergenehmigung („Exceptional Authorisation for the Road-Transport“) für den Straßentransport Clausen-Miesau erteilt. Die späte Erteilung dieser Genehmigung sei „schon bezeichnend“ für die gestern von Bundesverteidigungsministerium behauptete „dreijährige sorgfältige Vorbereitung“ des C-Waffenabzuges, so Urbanczyk. Auch SprecherInnen der Grünen in Bonn und in Rheinland-Pfalz kritisierten diese offensichtliche Diskrepanz. Das Abzugskonzept sei mit einer „heißen Nadel gestrickt“. Erst gestern wurde öffentlich, daß die Verantwortlichen für den Bahntransport nach Nordenham naeben den bisher bekannten zwei DB-Strecken eine dritte Streckenführung über das dicht bevölkerte Frankfurt ins Auge fassen. Der vorgesehene Zeitrahmen für den gesamten Transport ist äußerst knapp bemessen: Die Sondergenehmigung für den Straßentransport gilt für 30 Tage, daß heißt von morgen bis zum 5.September, da an Wochenenden nicht gefahren werden soll. Bis zum 18.September sollen laut offizieller Angaben die Bahntransporte nach Nordenham abgewickelt sein. Dieser Zeitrahmen enthält kaum Spielraum im Fall unvorgesehener Vorkommnisse. Die Ausnahmegenehmigung für den Schienentransport wurde daher vorsorglich bis zum 30.September erteilt. Unterdessen haben sich neben Hawai acht weitere Pazifik-Anreinerstaaten gegen die geplante Verschiffung des Giftgases auf das Pazifik-Atoll Johnston -Island gewandt. In einer gemeinsamen Erklärung, die der taz vorliegt, warnen sie vor einer Verseuchung ihrer Lebensumwelt durch die geplante Verbrennung der C-Waffen auf Johnston-Island.