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Asyl für desertierte Sowjetsoldaten

■ Erstmals nutzten drei Angehörige der Roten Armee die offene deutsch-deutsche Grenze zur Fahnenflucht Alle drei beabsichtigen, in der Bundesrepublik Asylanträge zu stellen

Aus Hannover Jürgen Voges

Drei Sowjetische Soldaten, die in der vergangenen Woche im Harz aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen sind, bereiten der Bundesregierung Kopfzerbrechen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes teilte gestern mit, das Problem fahnenflüchtiger Sowjetsoldaten sei zwar am Dienstag in der Vierer-Gruppe mit den drei Westalliierten erörtert worden, eine abschließende rechtliche Würdigung sei jedoch noch nicht möglich. Die betroffenen Bonner Ministerien hätten die Rechtslage noch einmal zu erörtern, sagte der Außenamtssprecher. Unklar sei, ob sowjetische Militärangehörige das Recht hätten, in der BRD nach Fahnenflüchtigen zu suchen. Es spiele eine Rolle, ob es sich bei den Suchenden um Angehörige der in der DDR stationierten Truppen oder Angehörige der Sowjetischen Militärmission handele. Ebenfalls noch nicht geklärt sei, ob im Falle der geflohenen Soldaten bundesdeutsches Ausländerrecht oder Besatzungsrecht gelte.

Nach Angaben der niedersächsischen Zentralen Ausländerbehörde in Braunschweig hat bisher keiner der drei Soldaten einen förmlichen Asylantrag gestellt. Alle drei wollten dies jedoch tun, teilte der Leiter der Behörde gestern mit. Die drei Soldaten, die alle am vergangenen Donnerstag „mit der Uniform in der Aktentasche“ in die BRD geflohen waren, sind die ersten Angehörigen der Roten Armee, die die Öffnung der Grenze im November vergangenen Jahres zur Fahnenflucht in die Bundesrepublik nutzten. Im Anschluß an die Flucht wurden im Harz wiederholt sowjetische Offiziere gesichtet, die offenbar auf der Suche nach den Soldaten waren. Die Sowjetische Militärmission in Bünde in Westfalen wandte sich außerdem mit der Bitte an die niedersächsische Polizei, beim Auffinden der drei Soldaten zu helfen. Die niedersächsische Polizei lehnte dies jedoch ab.

Einer der drei geflohenen Soldaten wurde in Abschiebehaft genommen. Inzwischen sei er jedoch wieder aus der Haft entlassen worden, erklärte gestern ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums. Der Soldat sei inhaftiert worden, weil er weder in die DDR noch nach Hause zurück wolle, sondern abhauen und untertauchen. Es sei nie daran gedacht gewesen, diesen Soldaten abzuschieben, sagte der Ministeriumssprecher. Nachdem nun auch dieser dritte Soldat Asyl beantragen wolle, habe man ihn wieder aus der Haft entlassen können. Als Gründe für ihre Flucht hätten alle drei Soldaten „allgemeine Unzufriedenheit mit dem Soldatenleben und der Situation bei der Roten Armee in der DDR“ genannt.

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