Ansichten von Clowns

■ Clown und Tod: Das neueste Clowns-Sommer-Projekt im freiraum-theater heißt „Das Floß der Medusa“ / Heute Premiere

Wenn man einen Interviewtermin mit den freiräumern im swimmingpoolartigen freiraum-büro hat, fühlt man sich wie ein freischwimmer ohne Bademeister: überall sitzt jemand, Gespräche fließen, aber keiner nimmt dir die Zeit ab. Erstmal. Aber dann haben alle ihr Pausenessen aufgebaut und sind bereit. Die elfköpfige Clownsgruppe „Clownage“, vor allem Lehrerinnen, aber auch Studentinnen und Rechtsanwälte, ist seit einem Jahr zusammen und das Ergebnis mehrerer clown -workshops im freiraum-theater. Für die täglich neunstündige Probenarbeit haben sich alle Urlaub genommen. Die taz sprach mit der Gruppe und ihrem Regisseur Jür

gen Müller-Othzen.

Mal ketzerisch: Was macht den Clown gerade für workshops und Laien so attraktiv?

Volkert (Rechtsanwalt): Die Ursprünglichkeit und diese Vitalität. Das Clowns-Spiel ist meinem Beruf z. B. völlig entgegengesetzt, weil der darauf ausgerichtet ist, mich selbst und Situationen ständig unter Kontrolle zu halten. Beim Clownsspiel muß sich der Spieler aber auch den andern Spielern und deren Impulsen überlassen.

Jürgen: Wobei ich da gleich ein bißchen intervenieren muß. Im Bezug auf die Kontrolle. In allen meinen Kursen will ich klarmachen, daß die Theaterarbeit keine

Freizeitbeschäftigung ist. Es ist gerade viel Arbeit und viel Kontrolle nötig, um das, was man vielleicht spontan erspielt, nachher auch sauber auf die Bühne zu bringen.

Was reizt Euch am Clown?

Sabine, Studentin: Mich reizt, was zu spielen, was relativ schwierig ist. Weil der Clown eben dieses Naive hat, dieses Leichtgläubige - ganz anders als das, was du le

ben kannst in der Gesellschaft.

Gabi, erwerbslos: Was für mich halt ganz wichtig ist, Sachen nicht so über den Kopf zu regeln, sondern in die Situation gefühlsmäßig reinzugehen und die in der Wiederholung dazuhaben. Und nicht rumkaspern und weghudeln.

Lothar, Supervisor: Bei mir ist es diese direkte körperliche Emotionalität. Es ist schon manchmal 'ne

Gegenintervention zum Beruf. Aber ich hab‘ hier viel gelernt, auch eine andere Art des Umgehens mit mir.

Das klingt jetzt doch etwas therapeutisch.

Jürgen: Ich sag‘ immer, versucht die Sachen nicht gedanklich, also intellektuell, zu regeln im Spiel. Das wird oft so verstanden, als dürften sie nicht mehr denken. Das ist natürlich nicht so. Der

Schauspieler muß hochgradig denken, aber er muß eine andere Art von Denken lernen.

Welcher Art?

Er muß aus der Situation, in die er sich hineinbegibt, herausdenken können, er darf nicht, während er spielt, über die Dinge, die er zu tun hat, nachdenken: gerade beim Clown, dessen ganzes Denken hochgradig emotionalisert ist. Der reflektiert die Dinge nie, das ist ja das Herrliche, ähnlich wie Kinder. Wir sind aber Erwachsene. Wir pirschen uns wieder ans Kinderleben heran, planen das aber systematisch. Wir improvisieren nicht drauf los, um uns freizumachen; das wäre wirklich therapeutisch.

Keine Angst, sich lächerlich zu machen?

Hannelore, Lehrerin: Doch. Man stellt auch seine negativen, zickigen Seiten zur Verfügung. Die man nicht so gerne hat. Das interessiert mich daran, daß der Clown unmoralisch ist, nicht dressiert. Ich habe bei mir beobachtet, daß man toleranter wird oder Vitalität mehr versteht. Tja, und mich hat es dazu geführt, daß ich jetzt aufhöre, Lehrerin zu sein.

Zum konkreten Stück: Es heißt „Das Floß der Medusa“ und klingt überhaupt nicht nach Clown, sondern nach schwerer Kost.

Volkert: Wir wollten ein Stück machen, in dem sich Clowns mit dem Tod auseinanderstzen. Dann sind wir auf ein Bild gestoßen, das Peter Weiß in der Ästhetik des Widerstands besprochen hat: Das Floß der Medusa, von Theodore Gericault. Eine Situation von Schiffbrüchigen.

Und das als Clownsstück.

Jürgen: Die Gruppe hat sich das ausgesucht. Ich hab‘ gesagt, ich kann das Thema mit einer Clownsgruppe nur bearbeiten, wenn ihr einverstanden seid, daß die Clowns dabei draufgehen. Ich kann nicht die Clowns schonen bei einem solchen Thema. Der Clown stirbt nicht als Schiffbrüchiger, sondern als Bühnenwesen. Ein gewagtes Unterfangen im Grunde. Gespräch: claks