Medikamentenzombies

■ „Eiszeit der Seele“, ZDF, Mittwoch, um 22.15Uhr

Das Paradox, das psychisch „Erkrankte“ zum Beispiel einem Filmemacher aufgeben, der eine Dokumentation über ihre „Krankheit“ und deren Folgen drehen will, ist der Umstand, daß die Ausbrüche sich nur in Schüben ereignen. Der mit dem Etikett „endogene Psychose“ Versehene benimmt sich über weite Strecken vollkommen „normal“ und redet über seine „Krankheit“, als spräche er über einen Anderen, sprichwörtlich. Genau hier beginnt das Problem einer nur im Prinzip löblichen Dokumentation. Die Kamera läuft, der „Psychotiker“ spricht. Das paßt gut zusammen. Der psychisch erkrankte Mensch hat durch seine Erkrankung im Alltag so viele soziale Demütigungen und Abgründe erfahren, daß er vor der Kamera, einem symbolisch aufgeladenen, sozialen Konsens stiftenden Apparat, tunlichst mitspielt. Der vor dem Bildschirm sitzende Zuschauer hört Geschichten, sieht Menschen, die sehr bestimmt, überlegt und offenbar präzise über Lebensabschnitte sprechen.

Es ist indessen kein Zynismus, zu fragen, wodurch sich diese Geschichten - für den Zuschauer - von den übrigen Geschichten auf den anderen Programmen unterscheiden. Eine, wie gesagt, nur im Prinzip löbliche Dokumentation über die beständig steigende Anzahl von psychischen Erkrankungen sollte sich aufgrund des besonderen Sujets mit dem Problem auseinandersetzen, wie diese Erkrankung darzustellen ist. Was den Erkrankten selbst anbelangt, so trifft die Kamera, die stets das Besondere, Darstellungswürdige sucht, bei ihm auf eine Art Vakuum. Denn es ist ein Spezifikum des sogenannten Psychotikers, daß er einem Darstellungsanspruch, wie er unzweifelhaft von einer Kamera ausgeht, durch virtuose Überkorrektheit begegnet. Diese Überkorrektheit wird ihm gerade dadurch zum Verhängnis, daß sie ihm zum Automatismus, zum Gefängnis gerät, aus dem es absolut kein Entkommen mehr gibt. Er brennt aus, sprichwörtlich.

Der belichtete Film unterdessen ist dann längst beim Entwickeln. Diese „Distanz der Entwicklung“ ist nun, falls die etwas gewagte Metapher gestattet ist, das, was einerseits dem sogenannten Psychotiker abgeht und andererseits das Fernsehen in diesem Fall zur Glotze reduziert.

Diese möglicherweise sophistisch anmutende Kritik beleuchtet den Mißstand, daß sich die allein letztes Jahr 375.000 in der Bundesrepublik psychiatrisch Internierten sowie die doppelte Anzahl derer, die wegen psychischer Erkrankungen einen Arzt aufsuchten, elementaren Mißständen gegenübersehen, die durch die Art der Darstellung kaum eingefangen wurde. Nur die Hilflosigkeit der Angehörigen kam rüber. Die Mutter einer psychisch erkrankten Tochter las zum Beispiel irgendwann auf dem Rezept etwas von „endogener Psychose“ und mußte erst im Duden nachschauen. Die Ärzte schweigen sich aus. Mit Grund. Um psychisch Erkrankte nicht offensichtlich abzuschreiben - was sie ehrlicherweise tun müßten - machen sie sie zu Medikamentenzombies, die umherlaufen „wie Kleiderschränke“. Verhaltenstherapien (wieder Einkaufengehen lernen“) bewegen sich im Allgemeinen noch auf dem Pawlow-Niveau. Kritische Reflektionen und Anstöße vermittelte Margaret Ruthmanns dreißig Minuten „Eiszeit der Seele“ kaum. Der Anspruch auf objektive Darstellung funktioniert bei diesem besonderen Sujet wie gesagt nicht.

Rie