: Zweiundzwanzig Zensoren
■ Arabische JournalistInnen müssen mehr Rücksichten nehmen
als ihre KollegInnen in allen anderen Weltregionen
Von Ahmed Karime
Der ägyptische Journalist Abdul Azeem Manaf ist vor kurzem nach London umgezogen, um seine Wochenzeitung 'Stimme der Araber‘ weiterhin publizieren zu können. Im eigenen Land war sie de facto von einem Verbot bedroht. Der Grund dafür war nicht etwa Manafs Kritik an der ägyptischen Regierung selber, sondern seine Kritik an der Innenpolitik Saudi -Arabiens und an der erschreckenden Verletzung von Menschenrechten in diesem Land.
Dieser Vorfall zeigt nur eine der vielen Schwierigkeiten auf, die es beim Thema Zensur im Nahen Osten zu beachten gilt. Journalistische Arbeit nämlich wird nicht nur vom Zensor des Landes, in dem sie veröffentlicht wird, aufs Heftigste kontrolliert, sondern von zweiundzwanzig Zensoren, angestellt bei den zweiundzwanzig verschiedenen Regierungen der Region.
Einige Journalisten entziehen sich der Komplexität dieses Systems, indem sie - auf eigene Gefahr - eindeutig pro -irakisch oder pro-syrisch werden und damit viele andere Staaten und Lager für sich abschreiben. Wer sich für eines der Lager entschieden hat, muß zu einer Publikation mit entsprechender politischer Ausrichtung gehen; andernfalls würde er als Teil einer fünften Kolonne denunziert.
Die Persio, die die politische Ausrichtung einer Zeitung entscheidet, ist der Chefherausgeber. Nach der Durchforstung seines Lebenslaufs durch den Geheimdienst wird er vom Staat auf seinen Posten berufen - und ist in aller Regel weniger kompetent als das unter ihm arbeitende Personal. Bei ihm aber liegt die Verantwortung gegenüber den Behörden für jedes Wort in seiner Zeitung, und deshalb regiert er mit absoluter Macht über seine Redakteure und Journalisten.
Das Berufsrisiko für Journalistinnen und Journalisten, die etwas schreiben, das dem Chefherausgeber als für die eigene Regierung und befreundete Regimes abträglich erscheint, ist außerordentlich hoch. Im Fall von Ägypten - eines der wenigen pluralistischen und parlamentarischen Systeme des Nahen Ostens - betrifft dies alle zweiundzwanzig arabischen Regierungen, weil das Land mit allen anderen durch politische Bündnisse und ökonomische Kooperationsverträge verbunden ist.
Das Vergehen besteht meist in Beleidigungen, die zu Verleumdungen hochgespielt werden. In den allermeisten Fällen geht es um nicht mehr als ungeschickte Ausdrücke und höchstens einmal um eine sehr allgemeine Kritik. Äußerst selten nur werden wirkliche Verbrechen, Korruptionsfälle, Verfassungsbrüche oder persönliche und offizielle Geheimnisse aufgedeckt. Denn das ist natürlich mit großem Risiko verbunden. Unter Präsident Sadat wurden „freche“ Journalisten, die kontinuierlich an der Aufdeckung von Korruption arbeiteten, als „Kommunisten“ bezeichnet, „die mit einer ausländischen Macht zusammenarbeiten“. Man zahlte ihnen zwar weiterhin am Ende jeden Monats ihr Gehalt, aber ihre Geschichten wurden unter keinen Umständen veröffentlicht. Dennoch wurden sie von den meisten arabischen Journalisten außerhalb Ägyptens beneidet, denn deren Risiko war nicht einfach nur berufliche Kaltstellung sondern häufig genug Körperverletzung und mehr. Wenn „das höchste Interesse des Staates“ im Spiel ist, dann ist der Tod eines mutigen Journalisten oft genug der Preis.
Eine Frage wie die nach der Zahl der im Irak im Oktober und November letzten Jahres getöteten ägyptischen Arbeiter würde kein Journalist, weder ägyptisch noch irakisch, je stellen. Mufeed Fawzy, ein bekannter Filmkritiker und Chefherausgeber von 'Sabah el Khire‘, einer führenden ägyptischen Zeitschrift, wagte es, in seiner eigenen Zeitschrift eine Bemerkung über den Tod der ägyptischen Arbeiter im Irak zu machen. Der Chefherausgeber einer anderen Zeitschrift, die sich besonderer Beziehungen zum Irak erfreut und in der Mufeed Fawzy Kolumnist ist, empfand diese Bemerkungen als unfreundlich. Das Ergebnis war, das Fawzy seine wöchentliche Kolumne verlor und damir sein zusätzliches Einkommen von umgerechnet etwa 2.000 DM. Wenn man bedenkt, daß das Gehalt eines Chefherausgebers in Kario weniger als umgerechnet 1.000 DM beträgt, ist das natürlich ein ziemlicher Schlag.
Ägyptische Journalisten sind zwar mindestens so gut wie ihre arabischen Kollegen, verdienen aber wesentlich weniger. Das erhöht ihr Risiko noch und damit die Tendenz zur Selbstzensur.
Aber der Verlust von Einkommen ist nicht die einzige Gefahr. Verleger-Journalisten wie Abdul Azeem Manaf müssen unter Umständen das Land verlassen, um ihre verbotenen Zeitungen überhaupt weitererscheinen lassen zu können. Wer keine finanzielle Rückendeckung hat, kann nicht einmal diesen Ausweg wählen. Der neue Innenminister Ägyptens hat versprochen, sämtliche unschuldig Gefangenen aus den Gefängnissen zu entlassen - das bleibt bisher noch abzuwarten. Eine Rücknahme des Ausnahmezustands, der seit Sadats Tod in Kraft ist, oder eine liberalere Behandlung, von zensierten und eingesperrten Journalisten scheint er allerdings nicht zu planen.
Der Ausnahmezustand erlaubt es der „Agentur zur Überwachung der Staatsicherheit“, sich über die Verfassung zu stellen. Da die ägyptische Regierung zur Zeit pro-irakisch und pro -saudiarabisch ist, bringt die „Agentur“ mit Hinweis auf das Ausnahmerecht unerfahrene Beamte dazu, Beschlagnahmeverfügungen auszustellen, die eine gesamte Auflage von Zeitungen wie 'Stimme der Araber‘ aus dem Verkehr ziehen können.
Und weil Revisionsverfahren teuer sind und sich lange hinziehen können, kommen solche Angriffe de facto einem Verbot gleich.
Ahmed Karime ist das Schriftsteller-Pseudonym eines ägyptischen Lyrikers und Journalisten, der für viele Kairoer Zeitungen als Korrespondent in verschiedenen arabischen Ländern gearbeitet hat. Zur Zeit arbeitet und lebt er in der Hauptstadt eines der Golf-Staaten.
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