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Moskaus Bürgermeister geht vor die Hunde

■ Die herrenlosen Vierbeiner der Stadt stehen ihm näher als die in der Hauptstadt Zuflucht suchenden Flüchtlinge

Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Gawril Popow ist ein umtriebiger und quirliger Mann Ende 30. Seit knapp zwei Monaten steht der populäre Wirtschaftswissenschaftler der Stadt Moskau als Bürgermeister vor. Erst in der vergangenen Woche verließ der radikalliberale Reformer zusammen mit seinem Leningrader Amtskollege Sobtschak die Reihen der Partei mit der Begründung, der Parteitag der KPdSU hätte endgültig ihre Reformunfähigkeit unter Beweis gestellt.

Um Transparenz in die Politik zu bringen, stellt sich das Stadtoberhaupt einmal wöchentlich in der Fernsehsendung „Guten Abend Moskau“ den Fragen der Bürger. Das Programm ist ein voller Erfolg, davon zeugen die hohen Einschaltquoten. Beim letzten Mal unterlief dem Politiker dabei allerdings ein gehöriger Fauxpas. Ein Fragesteller wollte wissen, was eigentlich mit den vielen tausend Flüchtlingen passiert, die aus den nationalen Konfliktherden nach Moskau umgesiedelt wurden. In der angespannten Versorgungslage der Hauptstadt hat die steigende Zahl der Flüchtlinge unter den angestammten Moskauern schon einige Ressentiments freigesetzt. Und mit seiner Antwort warb Popow nicht gerade um Verständnis für die Probleme der Flüchtlinge, deren Zahl sicherlich noch zunehmen wird: „Etwa 20.000 Flüchtlinge leben in Moskau und mehrere Dutzende Abgeordnete sind mit ihren Problemen beschäftigt. Um die mehreren hunderttausend herrenlosen Hunde kümmert sich allerdings niemand.“

Mit seiner unsensiblen Bemerkung hat der Moskauer Prinzipal nicht etwa eine Lawine des Protestes losgetreten. Geschmacklosigkeiten dieser Art werden hier noch nicht registriert. Minderheitenrechte gehören offenkundig zu einem Luxus, den sich erst spätkapitalistische Gesellschaften erlauben können. Aufgebracht reagierte jedoch die unabhängige Flüchtlingskommission. In einem Brief an Popow schrieb sie: „Man kann sich kaum an ähnlich unmenschliche und beleidigende Worte eines Politikers über Menschen erinnern, die unschuldige Opfer von Gewalt geworden sind. Ihre Äußerung zeigt uns, daß Sie überhaupt keine Ahnung von der Lage der Flüchtlinge in Moskau haben (...) Bisher haben wir noch nicht gehört, ob Sie in Ihrer Stellungnahme absichtlich Flüchtlinge mit Hunden auf eine Stufe gestellt haben.“

Von einer Moskauer Wochenzeitung um Stellungnahme gebeten, ließ Popow durch sein Vorzimmer erklären, die Angelegenheit sei ihm zu „provokant“. Eine Erklärung lieferte allerdings einer seiner Mitarbeiter. Kurz vor Popows Fernsehauftritt sei eine Notiz auf dessen Schreibtisch gelandet: „Wir kümmern uns um Haustiere, besonders um Hunde. Wird die Nahrungsmittelversorgung im Zusammenhang mit der Einführung von Bezugsscheinen in Moskau auch für sie organisiert?“ Diese Anfrage hätte den Bürgermeister so verwirrt, der für seine Liebe zu Haustieren bekannt sei, daß er in der Fernsehsendung unabsichtlich die beiden Dinge miteinander verknüpft hätte.

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