: Lektion in Schauspielkunst
■ „Mord am Zwiebelfeld“, Kriminaldrama mit James Woods, 20.10Uhr, Pro7
Jimmy (Frank Seals) ist erst seit einem Tag draußen. Die meiste Zeit seines Lebens hat er hinter Gittern verbracht, und irgendwie ist das Draußen für ihn auch ein Gefängnis. Auf der Straße trifft er auf einen alten Kumpel, den Säufer Billy (Lee Weaver), der wie er Farbiger ist und sich gerade von einem anderen Farbigen die Schuhe putzen läßt. Einschlägige Worte werden gewechselt. Bis Gregory (James Woods) auftaucht, der dem abgebrannten Jimmy jovial einen Zehner pumpt und sogar noch dem geizigen Billy einen Rippenstoß verpaßt, bis der auch noch widerwillig in die Tasche langt.
Vom Moment seines Auftauchens an wird die Atmosphäre der Szene bestimmt von „Dr. Woods“, wie sich der nunmehr über 40jährige Schauspieler in einem Interview scherzhaft nannte. Vom berüchtigten „Method-Acting“ eines Robert de Niro hält er überhaupt nichts. Wie er sich nun auf eine Rolle vorbereitet, könne er eigentlich nicht sagen. Als graduierter Politologe legt er Wert auf seinen akademischen Background und betont, daß er ein guter Leser von Scripten sei. Am allerwichtigsten sei für ihn, daß ein Regisseur die Story des Films verstehe. Nur so könne er die Qualitäten eines Schauspielers überhaupt erst umsetzen.
Entsprechend hat Woods mit der Creme de la Creme gearbeitet. Am beeindruckendsten ist sein Kabinettstück als minutiös in den Wahn abgleitenden TV-Manager in David Cronenbergs Videodrome. Den internationalen Durchbruch erzielte er im gleichen Jahr als „Noodles“ in Sergio Leones Es war einmal in Amerika.
Weil es in Harold Beckers Mord am Zwiebelfeld von 1979 um die Umsetzung eines authentischen Justizskandals ging (Buch und Tatsachenroman: Joseph Wambaugh), sei die Rolle des schlitzäugigen Gregory für ihn eine der größten Herausforderungen gewesen. Gregory dominiert den schwachen Jimmy mit solch perfider Warmherzigkeit, daß es einem kalt den Rücken herunter läuft. Wie ein böser Vater „verführt“ er ihn zu einer Reihe kleiner Delikte. Bis die beiden im Zuge der Vorbereitungen zu einem größeren Ding von einer Streife kontrolliert werden. Halb selbstgefällig, halb irre, entführt Gregory kurzerhand die beiden unerfahrenen Beamten und erschießt einen von ihnen.
Der Zweite, Hettinger (John Savage), kann nach blutiger Treibjagd entkommen. Während der Jahrzehnte, die der Fall die Gerichte durchwandert, verändert sich mehrmals das Verhältnis der beiden Mörder zueinander. Es ist das Verdienst des großen Schauspielers James Woods, daß bis zum Schluß in der Schwebe bleibt, was sich tatsächlich hinter seiner Stirn verbirgt.
Parallel dazu legt der Film mit dokumentarischer Nüchternheit das Augenmerk auf den psychischen Verfall des traumatisierten Polizisten Hettinger, der die Geschichte nicht verarbeiten kann. Sein plausibel dargestellter sozialer Abstieg zeichnet einen wohltuenden Kontrast zum verklärten Bild der Cop-Filme der 80er.
Manfred Riepe
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