: Rechtlos auf deutschen Schiffen
■ Vier indische Seeleute suchten Zuflucht bei der Gewerkschaft ÖTV / Vermittlungsagent und Reeder im Geschäft mit der Rechtlosigkeit / Fußtritte für Grundrechte auf Zweitregisterschiffen
Von Martin Kempe
Berlin (taz) - Die Geschichte der vier indischen Seeleute hat jetzt in Hamburg ihr vorläufiges Ende gefunden. Es ist eine Geschichte vom verlorenen Glück und von der Skrupellosigkeit deutscher Profithaie auf hoher See. Und es ist die Geschichte eines internationalen Skandals, den sich eine der reichsten Nationen der Welt seit mehr als einem Jahr mit einem Gesetz zum zweiten Schiffsregister leistet. Sie begann im letzten Herbst im fernen Bombay. Die Seeleute Aloysius Arockiam, Theodore Gnanam, Antonio Fernandes und Bulomen Rebello hatten sich im Seemannsheim der indischen Hafenstadt nach einem neuen Job umgesehen und einen vielversprechenden Aushang entdeckt: Arbeit auf deutschen Schiffen wurde dort angeboten. Die Inder entschlossen sich, ihr Glück zu versuchen.
Sie wandten sich an die annoncierende „Express Marine Agentur Indrapal Singh“ und wurden für die deutsche Reederei Heinrich Beutler KG, Lübeck (Passatweg 9, 2400 Lübeck, Travemünde 1, Tel. 04502-73912) angenommen. Alles schien korrekt und vertrauenserweckend. Die Inder wurden zu einem Notar geführt, bei dem sie ihren Arbeitsvertrag unterzeichneten. Allerdings: gelesen hatten sie nicht, was sie da unterschrieben. Lediglich über die Heuer wurden sie informiert: 250 Dollar (rund 440 Mark) sollten sie pro Monat bekommen, und einen Dollar pro Überstunde. Sie wußten nicht, daß dieser Lohn unter dem von der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf festgelegten Mindestlohn für Seeleute von derzeit 286 Dollar liegt. Und sie durchschauten auch nicht, daß ihr Lohn sich nur auf die effektive Arbeitszeit bezog, daß sie aber nach deutschen Recht eigentlich einen Anspruch auf bezahlten Urlaub hätten. Nach ihrer Ankunft in Deutschland, so hieß es, würden sie Kopien ihrer Arbeitsverträge erhalten.
Am 17. Januar ging es dann für drei von ihnen per Flugzeug nach Hamburg. In Fuhlsbüttel wurden sie bereits erwartet. Ein Mann vom Fach verfrachtete die indischen Seeleute zunächst ins Hamburger Seemannsheim „Stella Maris“: Günter Rusch, vor fünf Jahren aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt, hatte einst in Rostock bei einer Reederei gearbeitet und beschäftigt sich nun in der Firma „Maritime Expert Service Gmbh & Co“ (Sierichstr. 47, 2000 Hamburg 60) mit der Vermittlung von Schiffspersonal an deutsche Reedereien - eine Tätigkeit, von der sich besonders gut leben läßt, seit die Bundesregierung im vorletzten Jahr das Gesetz über das zweite Schiffsregister (s. Kasten) gegen alle gewerkschaftlichen Widerstände durchgepeitscht hat. Günter Rusch hatte über seinen Partner Indrapal Singh die Anwerbung der Seeleute besorgt und stellte sich ihnen nun als Agent der Reederei Beutler vor. Er wickelte alle Formalitäten für den Einsatz der drei Inder auf Beutlers Schiffen ab: Er ließ sie auf Seediensttauglichkeit untersuchen, sorgte für die Erteilung der notwendigen Seefahrtsbücher und brachte sie schließlich mit dem Auto an ihren Einsatzort, die zu der Zeit in Rotterdam liegende deutsche M/S „Vineta“. Erst an Bord erfuhren die Seeleute nach und nach, was sie in Bombay beim Notar alles unterschrieben hatten: als sie am Monatsende nach ihrem Lohn fragten, hieß es, den bekämen sie später. Vorerst gäbe es nur ein Taschengeld. Das sei im Vertrag so geregelt. Auch dürften sie für sechs Monate nicht an Land gehen, und sie dürften sich nur von dem ernähren, was an Bord serviert würde. Gewerkschaftlich betätigen dürften sie sich auch nicht. Die Pässe waren den Indern vorsorglich abgenommen worden.
Ein Brief an den Kapitän offenbart die Praxis der Entrechtung
Bekannt wurden diese Sklaven-Praktiken durch einen Brief, den der vierte der indischen Seeleute, Bulomen Rebello, der Gewerkschaft ÖTV übergab. Das von Rebello der ÖTV übergebene Dokument läßt in seiner Klarheit nichts zu wünschen übrig (s. Kasten). Es handelt sich um die Kopie eines Briefes des Personalvermittlungsgaenten Rusch an den Kapitän der M/S „Birka“, Habermann. Auf diesem Schiff war Rebello zunächst eingesetzt. In dem Brief werden die neuesten Direktiven der Reederei für die Behandlung der indischen Seeleute erläutert. „Damit die Gefahr einer Flucht vermindert wird, halten Sie die Heuerzahlung für mindestens vier Monate zurück“, heißt es in den Anweisungen des Herrn Beutler an seinen Kapitän. Es solle „im Prinzip keinen Landgang“ geben. Dazu gibt er dem Kapitän jenes Papier zur Kenntnis, das die Inder beim Notar in Bombay unterschreiben mußten, um den Job zu bekommen.
Rebello war bereits im November durch einen ihm nicht bekannten Agenten an Bord der deutschen M/S „Birka“, ebenfalls zur Reederei Heinrich Beutler KG gehörig, gebracht worden. Im Mai ist er dann auf die M/S „Vineta“ versetzt worden, wo er zusammen mit den drei anderen indischen Seeleuten im Bereich Biscaya-Ostsee eingesetzt wurde - bis zum plötzlichen Ende: Anfang Juli befand sich die „Vineta“ auf dem Weg von Großbritannien nach Polen. Am 7.Juli legte sie in Brunsbüttel an. Den indischen Seeleuten wurde befohlen, innerhalb von 10 Minuten das Schiff zu verlassen, ohne daß ihnen die noch ausstehende Heuer ausgezahlt wurde. Begründung: die „Vineta“ werde nach Antigua, einer selbständigen Inselstaat in der Karibik, ausgeflaggt.
An Land trafen die von Bord gejagten Inder wieder auf den allgegenwärtigen Hern Rusch, der ihnen mitteilte, sie würden nun wieder nach Indien zurückgebracht. Rusch fuhr sie wieder in das schon bekannte Seemannsheim „Stella Maris“. Von der ihnen noch zustehenden Heuer war immer noch keine Rede. Stattdessen forderte ein ihnen unbekannter Mann die Seeleute auf, auf einem anderen Schiff der Reederei Beutler zu arbeiten. Die vier lehnten ab, solange ihnen nicht die Heuer gezahlt und die Kostenübernahme für das Seemannsheim gesichert sei. Ihre Forderung wurde bis heute nicht erfüllt.
Hilfesuchend wandten sie sich daraufhin an das indische Konsulat in Hamburg, das sie an die Gewerkschaft ÖTV weiterleitete. Die Gewerkschaft hat inzwischen die Versorgung der Seeleute übernommen und ihnen Rechtsbeistand zugesichert. Sie schaltete umgehend die Bearbeitungsstelle zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung in Hamburg ein und formulierte eine empörte Erklärung für die Öffentlichkeit: „Moderne Galeerensklaverei auf Zweitregisterschiff“.
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