Gay Games oder der Zorn Gottes

■ Am Samstag beginnt im kanadischen Vancouver das „III. Internationale lesbische und schwule Sport- und Kulturfestival“ / Religiöse Eiferer wittern Unheil, der Kulturminister konterte per Grußbotschaft

Von Michaela Schießl

Berlin (taz) - „Im Namen Gottes und aller Ehrfurcht vor Ihm, geben wir folgende öffentliche Erklärung ab: Diese Gay Games werden Gottes Gericht über uns und unsere Stadt bringen, deshalb verbieten wir im Name Jesu Christi diese Spiele.“

15.000 Dollar ließen sich religiöse Querschläger aus Vancouver diese ganzseitigen Zeitungsanzeigen kosten, um die Bevölkerung vor der ungeheuerlichen Gefahr der bevorstehenden III. Gay Games, dem internationalen lesbischen und schwulen Sport- und Kulturfestival, (4. bis 11. August) zu warnen. Ob sich besagter Jesus, wäre er nicht gen Himmel entfleucht, angesichts seiner mißratenen Jünger von Grauen gepackt im Grab umgedreht hätte, bleibt ungewiß. Fest steht, daß diese Annonce tatsächlich viel Aufmerksamkeit unter der Bevölkerung von Vancouver auslöste: Der Staatsminister für Breitensport, Otto Jelinek, schickte eine Grußbotschaft an die Gay Games und die Organisatoren der Spiele bekamen zuhauf Angebote, die Gäste privat und kostenfrei aufzunehmen.

Und es werden nicht wenige sein: Allein zu den Sportwettkämpfen haben sich 8.000 vorwiegend lesbische und schwule AthletInnen angemeldet, hinzu kommen die Teilnehmer am Kulturprogramm. Tanz, Theater, Fotographie und Film, Musik und Kunst werden die Sportperformance begleiten. 28 Sportarten von Badminton bis Wasserpolo stehen auf der Angebotsliste und locken die Akteure mit güldenen Medaillen. Hartes Training im Vorfeld erübrigt sich allerdings Mindestleistungen werden nicht gefordert. Das Selbstverständnis der Gay Games hat nichts mit absoluten Leistungen zu tun. Was zählt, ist lediglich der individuelle sportliche Einsatz, der gewährleistet wird durch die Einteilung in unterschiedliche Könnens-Gruppen. So spielt auch weder Alter noch sexuelle Orientierung eine Rolle.

Das Olympische Komitee war schwer erbost

Ursprünglich waren die Gay Games als Gay Olympics, Olympiade der Schwulen und Lesben geplant. Was das edle Olympische Komitee der USA sehr erboste. Ließ man schon den Ausdruck Paralympics für Behinderte zu, ging den markigen Sportkameraden die Verbindung von Olympia und Homosexuellen doch eindeutig gegen den Strich. Wenige Tage vor Beginn der ersten Spiele in San Francisco klagte das NOK - und bekam recht. Auch in einem langjährigen Rechtsstreit konnte der Name nicht durchgesetzt werden. Heute sind die Organisatoren froh darum: „Die Olympischen Spiele sind rassistisch, sie schließen Gruppen und Leute aus, sie sind nationalistisch und nur für Leistungssportlerinnen. Das alles gilt nicht für unsere Spiele“, merkte Dr. Tom Waddle alias „Papa Games“. Die Gay Games waren seine Idee, er organisierte die Spiele 1982 und 1986 in San Francisco.

Um dem Nationalismus bei Sportveranstaltungen zu entgehen, treten die Sportler unter dem Namen der jeweiligen Stadt an. Dennoch: die Nationalflaggen scheinen unverzichtbar, aber, so Allison Brown vom Organisationskomitee der Berliner Delegation, nicht alle Länder haben so ein gestörtes Verhältnis zum Nationalismus wie die Deutschen. Eine weitaus größere Rolle spielte in der Vergangenheit der Rassismus. In Vancouver wird zum ersten Mal SüdafrikanerInnen die Teilnahme untersagt. Bisher sträubten sich die AmerikanerInnen dagegen. Selbst an den Rand der Gesellschaft gedrängt und diskriminiert, wollten sie ebensolches nicht tun und die Gay Games nicht politisch überformen. Der zunehmende Einfluß der EuropäerInnen verstärkte jedoch die politische Komponente der Spiele. Die Gay Games schlossen sich dem Boykott gegen den Apartheidstaat an.

Immer wieder Grund zur Diskussion liefert das bei den Gay Games trotz allem anzutreffende Leistungsprinzip. Denn Medaillen, Ranglisten, Auscheidungswettkämpfe gibt es auch dort. Doch, so einigte man sich, die Abgrenzung zu den Olympischen Spielen kann nicht in der Auflösung des Leistungsprinzips liegen, sondern vielmehr in der Öffnung zum gesamten Spektrum des Sports.

Tatsächlich geht es bei den Gay Games eher um die Demonstration des Schwul- und Lesbisch-Seins als um den Wettkampf. Das Gefühl der Gemeinschaft, der Normalität ist der eigentliche Magnet dieser größten Amateurveranstaltung. Die Gay Games sind eine Erklärung an die Öffentlichkeit, die mutige Darstellung gleichgeschlechtlicher Zuneigung im Gegensatz zum alltäglichen Verstecken.

Das Argument, mit dieser Aktion grenzten sich die Homosexuellen erst recht aus und förderten Berührungsängste, lassen die Betroffenen nicht gelten. „Um Integration zu entwickeln, muß man zunächst eine eigene Identität aufbauen“, so Allison Brown. „Gerade im Aids-Zeitalter muß man erst genügend Selbstbewußtsein aufbauen, um schließlich sichtbar zu werden. Die ständige Benachteiligung und Ausgrenzung im öffentlichen Leben gestattet es kaum, offen zu der jeweiligen Sexualität stehen zu können. Bei den Gay Games fällt es endlich von einem ab, das latente Gefühl der Andersartigkeit. Hier sind wir selbstverständlich.“

Scott McLennan, ein Fotograf, beschreibt die Wirkung der Gay Games: „Der Welt ein positives Bild unserer Einigkeit und Stärke zu geben, ist ausschlaggebend dafür wie wir gesehen werden und wie wir uns selber sehen. Die Ziele, nämlich Einbeziehung statt Gewinnen, die Unterstützung von Alternativen, das Gefühl der Gemeinschaft und der geistigen Entwicklung, können nicht erreicht weden, wenn wir unsere Andersartigleit verstecken und innerhalb der schwullesbischen Sportorganisationen nach Unterstützung suchen.“

Rund 10.000 Aktive werden erwartet

Trauten sich bei den ersten Gay Games nur 1.500, meist amerikanische Teilnehmer aus dem Schwulen-Mekka San Francisco, das Sichtbarwerden zu, waren es vier Jahre später bereits 3.500. In Vancouver werden es annähernd 10.000 sein. Gegenüber den Lesben sind die Schwulen immer noch weit in der Überzahl. Zwar sind alle Gremien des Organisationskomitees paritätisch besetzt. Doch haben die Schwulen von jeher in punkto Öffentlichkeit, aber auch bezüglich der Gelder einen erheblichen Vorsprung. „Schwule sind eben Männer, und die sitzen des öfteren in einflußreichen und finanziell lukrativen Positionen. Von daher war es schon immer einfacher für Schwulenorganisationen, Geld zu beschaffen“, so Allison Brown.

Sich die Zusammenarbeit zwischen Lesben und Schwulen als einzige Harmonie vorzustellen, wäre absurd. Wie überall treten auch hier Schwierigkeiten auf, besonders in der unterschiedlichen Arbeitsweise und Umgangsformen von Männern und Frauen. Appelle, man säße doch schließlich gemeinsam in einem Boot, helfen da nicht weiter. Des öfteren fühlte sich der Berliner Frauen/Lesbensportverein „Seitenwechsel“ von den Mitorganisatoren des Schwulensportklubs „Vorspiel“ überrollt. „Wo wir gerne Neues kreieren würden, übernehmen die Schwulen pragmatisch lieber Erprobtes“, so Allison Brown. Unüberbrückbare Probleme seien das dennoch nicht. „Wir müssen in Zukunft eine angemessenere Arbeitsweise entwickeln.“

Echten Widerstand seitens der Seitenwechslerinnen gab es einzig bei der Sponsorenfrage. Da der Berliner Senat trotz der Zusage von AL-Staatssekretär Kuhn bisher keine Gelder für die 60 weiblichen und 80 männlichen Gay-Games-Teilnehmer aus Berlin locker machte, fanden die Schwulen auf eigene Faust einen Geldgeber: den Bruno Gmünder Schwulenbuchverlag. Zum Dank ziert der Schriftzug „Spartakus“, Titel einer Publikation, die Jogginganzüge der Equipe. Aber nur die der Männer, die Frauen, lehnten ab. Dennoch wurde das Geld geteilt. Wegen des gemeinsamen Bootes.

Und wegen des kollektiven Paddelns. Oder, wie Richard Dopson von der Gay-Games-Gemeinschaft aus Vancouver meint: „Wichtig ist nur die Fortsetzung des Traumes.“