Die Lämpchen unter der Prachtallee

■ Unter den Linden: Alter Straßenbahntunnel diente „Kampfgruppen“ des Ministeriums für Außenhandel / Knotenpunkt für Videoüberwachung / Weiterhin 20 Kameras in Betrieb

Mitte. Stück für Stück werden die Geheimnisse des Honecker-Regimes gelüftet. Gestern gelangten Journalisten in den Untergrund unter Ost-Berlins Prachtallee Unter den Linden. Hier hatten die „Kampfgruppen“ des Ministeriums für Außenhandel (Unter den Linden 44-60) jahrelang LKWs und Technik gelagert. In dem über 100 Meter langen ehemaligen Straßenbahntunnel („Zutritt verboten“) entdeckten Mitarbeiter des Magistrats im Mai auch einen verschlossenen Raum - weil dort gerade ein Telefon klingelte. Ende Mai wurde die Kammer dann gewaltsam geöffnet. Darin befand sich ein Knotenpunkt für Leitungen des Video-Überwachungssystems. Mit Hilfe von 25 Kameras im gesamten Stadtgebiet überwachten die „Organe“ des SED-Staates Verkehr und Bürgerrechtler.

Die High-Tech-Kammer wäre normalerweise direkt durch den ehemaligen Straßenbahntunnel zu erreichen. Doch der stellvertretende Stabschef der Volkspolizei, Rudi Höll, verzichtete gestern lieber auf diesen Zugang. Der Tunnel, der zwischen Humboldt-Universität und Maxim-Gorki-Theater beginnt, steht zum Teil unter Wasser - die Kanalisationsrohre Unter den Linden sind defekt. Der Uniformierte zog deshalb den Eingang unter der schwarz-gelb lackierten Stahlluke auf dem Bebelplatz vor. Zwischen parkenden Autos begann der Abstieg in die Vergangenheit Ost -Berlins.

Die Stahltür zu dem Raum - zwei Meter unter der Erde - ist elektrotechnisch gesichert. Wenn sie aufgeht, leuchtet in der Polizeiinspektion Mitte ein Lämpchen auf. In der Mitte des Raumes steht ein Telefon, an den grauen Wänden hängt digitale Technik. Auch heute noch ist sie in Funktion, rot -blinkende Leuchtdioden zeugen von Geschäftigkeit. Ursprünglich kamen hier und in einem weiteren Raum in der Liebknechtstraße die Fernsehbilder aller 25 Ostberliner Videokameras an, wurden verstärkt und ins Polizeipräsidium, ins Ministerium für Innere Angelegenheiten und der Staatssicherheit weitergesendet.

Die optische Überwachung des Alex ist nur noch in Betrieb, wenn es dort zu gewalttätiger Randale kommt. Doch weiterhin flimmern im zweiten Stock des Polizeipräsidiums in der Wadzekstraße auf 20 von 48 RFT-Monitoren schwarzweiße Abbilder von Kreuzungen wie Unter den Linden/Friedrichstraße, des Marx-Engels-Platzes und der Volkskammer. Weitere 17 fernsteuerbare Polizeiaugen lugen über die Stadt. Im Präsidium werden die Monitore allerdings abends um Punkt 9 Uhr abgeschaltet und werden erst frühmorgens wieder in Betrieb genommen.

Die Überwachungsanlage kommt bis auf die Monitore komplett aus dem Westen: Die Kameras sind von der Firma Grundig. Die Fernsteuerung und die komplizierte Digitaltechnik kommen aus Dänemark von einer Firma „Video-Technik APS“.

Die Stasi hat die Kameras der Volkspolizei mitbenutzt, selbst offenbar aber nicht über festinstallierte Videotechnik verfügt. Der Leiter der Abteilung „Operatives Fernsehen“ bei der Volkspolizei, Bachmann, wundert sich allerdings, wo die mobilen Überwachungsgeräte geblieben sind, mit der die Opposition heimlich oder offen beobachtet wurde. Der Besuch in dem kleinen Raum am Ende des Kampfgruppen-Tunnels sollte gestern weniger für neue Aufregung sorgen, sondern eher beruhigen. Der Vertreter von Innenstadtrat Krüger, Peter Haupt, will mehr Transparenz bei Polizei und ihren Überwachungsaufgaben schaffen. Er könne sich vorstellen, daß über einen Monitor beim Polizeibeauftragten Ibrahim Böhme oder beim Innenstadtrat kontrolliert werden könnte, was die Volkspolizei täglich beobachtet. Auch Bachmann war bemüht, mögliche Ängste zu nehmen. Mehrmals betonte er, daß die Polizei nicht heimlich filmen dürfe. Im Polizeipräsidium demonstrierte der gelernte Ingenieur der taz, daß auf den Mattscheiben Gesichter von Personen nicht erkennbar sind.

Doch die Volkspolizei hat mittlerweile auch begonnen, mit mobilen Videos zu filmen - ganz wie die Kollegen im Westen. Zum Beispiel bei der Demonstration autonomer Gruppen vor den von Neofaschisten besetzten Häusern in der Weitlingstraße, als es zu schweren Auseinandersetzungen kam und drei Polizeilaster ausbrannten.

Dirk Wildt