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Irak hat Kuwait fest im Griff

■ Hunderte von Toten auf kuwaitischer Seite / Sanktionen aus Ost und West gegen Bagdad / Hypervorsichtige Reaktionen in der arabischen Welt / USA: Krieg gegen Irak „logistischer Alptraum“

Kuwait (afp/ap/dpa/taz) - Einen Tag nach ihrem militärischen Überfall auf das Ölemirat Kuwait scheinen die irakischen Invasionstruppen das Land trotz vereinzelt anhaltenden Widerstandes voll im Griff zu haben. Nachdem Tausende von Bürgern des Ölscheichtums ins benachbarte Saudi -Arabien geflohen waren, blockierten die irakischen Besatzungstruppen alle außer Landes führenden Autobahnen. Die irakischen Truppen in den kuwaitischen Ölhäfen wurden verstärkt. Auch ihre Positionen im Süden, entlang der Grenze zu Saudi-Arabien, bauten die Iraker aus. In manchen Berichten hieß es am Freitag sogar, sie stünden einige Kilometer auf saudischem Gebiet.

Auf kuwaitischer Seite sind bei den Kämpfen am Donnerstag nach Schätzungen diplomatischer Kreise mindestens 200, nach anderen Angaben über 600 Personen getötet worden. Auch zwei Brüder des Emirs von Kuwait sollen am Donnerstag bei Verteidigungskämpfen um den Palast des Emirs ums Leben gekommen sein. Den in Kuwait lebenden Ausländern wurde Gewährleistung ihrer Rechte, Interessen und Sicherheit versprochen. Vermißt werden dagegen immer noch sechs US -Bürger, die auf einem Ölfeld in der Nähe der Grenze zum Irak arbeiteten. Es hieß, irakische Soldaten hätten sie verschleppt.

Die Iraker kontrollierten am Freitag morgen die gesamte Hauptstadt Kuwait-City. Journalisten vor Ort meinten, die irakischen Soldaten wirkten „entspannt, diszipliniert und schienen „guter Stimmung“ zu sein. Über die „provisorische Regierung“, die angeblich den Irak um militärischen Beistand beim Sturz der „korrupten Herrscher-Dynastie as-Sabah“ gebeten haben soll, fehlt jegliche Information. Über einen Rundfunksender pries die mysteriöse Regierung den „gesegneten Tag, an dem über den Häuptern der Verräter das Netz der Spionage zerschlagen wurde“.

Die amtliche irakische Nachrichtenagentur 'INA‘ verbreitete eine lange Erklärung der neuen Regierung, in der dem Clan der as-Sabah „Ausplünderung des Landes, Monopolisierung der Macht und Zusammenarbeit mit Zionisten und Kolonialisten“ angelastet wird. Die neue Regierung gab die Amtsenthebung des Emirs, die Auflösung der Nationalversammlung und die Beschlagnahme der Bankguthaben der vertriebenen Regenten sowie des früheren Ölministers Ali Chalifa as-Sabah bekannt. Auch kündigte sie die Ausschreibung „freier und ehrlicher Wahlen“ an.

Die irakische Invasion ist international verurteilt worden. Die US-Regierung blockierte einen Großteil der Einfuhren aus dem Irak - darunter den Ölimport - und fror irakische und kuwaitische Guthaben ein. Auch mehrere westeuropäische Staaten wie Frankreich und Großbritannien sowie Japan froren kuwaitische und irakische Guthaben ein bzw. kündigten, wie die Bundesrepublik, die Sperrung entsprechender Konten und die Aussetzung der Hermes-Bürgschaften an. Die Regierung in Bagdad reagierte ihrerseits mit der Einstellung ihres Schuldendienstes.

Das UdSSR-Außenministerium gab die sofortige Aussetzung aller sowjetischen Waffenlieferungen an Irak bekannt und forderte den bedingungslosen Rückzug der Iraker. US -Außenminister Baker, der am Donnerstag nach Gesprächen mit seinem sowjetischen Amtskollegen Schewardnadse von Irkutsk in Sibirien in die mongolische Hauptstadt Ulan Bator weitergereist war, wurde am frühen Freitag nachmittag (MESZ) zu einem außerplanmäßigen Besuch in Moskau erwartet. Dort wird er gemeinsam mit Schewardnadse eine Erklärung abfassen. Die im US-Staat Colorado weilende britische Premierministerin Thatcher bezeichnete bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Bush das Vorgehen Saddam Husseins als „unerträglich“. Bush sprach von einer „nackten Aggression“.

Irakische Miltärs drohten, im Fall eines Interventionsversuchs, von wem auch immer, würden sie „Kuwait in einen Friedhof“ verwandeln. Die USA indes scheinen nicht an ein militärisches Eingreifen zu denken. „Das wäre ein logistischer Alptraum“, zitierte die 'Washington Post‘ einen hohen Armeevertreter, der auf die spärliche Präsenz der USA in den arabischen Staaten hinwies.

Für eine richtige militärische Konfrontation mit Irak müßten mindestens 300.000 Mann und schwere Waffen aus den USA und anderen Stützpunkten in Übersee in der Golfregion zusammengezogen werden. Dies würde mindestens 45 Tage dauern. Ein eventueller Einsatz brauchte außerdem die Zusammenarbeit Saudi-Arabiens, was keineswegs als sicher gilt. „Wenn die Saudis uns nicht reinlassen, sind unsere militärischen Optionen sehr begrenzt“, sagte der frühere Stabschef der US-Streitkräfte, William Crowe, der 'Los Angeles Times‘. Die US-Marine beorderte den Flugzeugträger „Independence“ und sechs Begleitschiffe ins Arabische Meer, um die im Persisch-Arabischen Golf stationierte US -Streitmacht von acht Kriegsschiffen zu verstärken. Die US -Flotteneinheiten im Mittelmeer werden in Kürze Verstärkung durch fünf Amphibienfahrzeuge mit Elitetruppen erhalten. Auch Frankreich entsandte zwei Kriegsschiffe in Richtung auf den Persisch-Arabischen Golf. Wesentlich sei nun, so Paris, die Abstimmung der wichtigsten Großmächte, „der USA, der europäischen Mächte und der Sowjetunion“. Die Solidarität der führenden Staaten sei „das beste Mittel, Irak zur Vernunft zu bringen“. Bei geringstem Nachlassen dieser Solidarität „könnte Saddam Hussein gewinnen“.

Im Vergleich zu den Reaktionen in Ost und West waren die der arabischen Welt bemerkenswert gedämpft und vorsichtig. Der Ministerrat der Arabischen Liga ging nach einer Sondersitzung in Kairo auseinander, ohne das irakische Vorgehen öffentlich verurteilt zu haben. Wie verlautete, einigten sich die Außenminister auf eine Sondergipfelkonferenz. Laut der ägyptischen Nachrichtenagentur 'MENA‘ wird angenommen, daß dieser Gipfel am Wochenende in Kairo stattfinden wird. Die Regierungen Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate, Omans, Katars und Bahrains enthielten sich jeglicher Stellungnahme. Selbst Teheran übte sich in maßvoller Zurückhaltung. Neben Syrien, dessen Präsident Assad ohnehin seit langem auf Kriegsfuß mit dem Bagdader Regenten steht, konnten sich nur der Libanon, Algerien und Marokko zu einer klaren Verurteilung des Irak aufraffen.

Auch die PLO mochte sich, obwohl 300.000 Palästinenser in Kuwait ihren ständigen Wohnsitz haben, nicht zur Invasion ihrer irakischen Verbündeten äußern. Dabei könnte die irakische Invasion durchaus unmittelbare Folgen für die in den von Israel besetzten Gebieten wohnenden Palästinenser haben. Denn gut 30.000 der in Kuwait lebenden Palästinenser stammen von dort. Der mögliche Wegfall ihrer monatlichen Überweisungen in die alte Heimat würde die dort verbliebenen Verwandten empfindlich treffen.

Aus ägyptischen Regierungskreisen verlautete, Staatspräsident Husni Mubarak und andere arabische Staatschefs hätten von einer Verurteilung abgesehen, weil sie hofften, daß die Situation noch auf friedlichem Weg bereinigt werden könne. Vor allem der Ägypter Hosni Mubarak, der sich jüngst noch eigens an den Tigris begab, um den irakischen Präsidenten Saddam Hussein zu einer friedlichen Beilegung aller Differenzen im irakisch-kuwaitischen Ölkonflikt zu überreden, zeigte sich enttäuscht. Unterdessen kursierten Berichte über einen „Minigipfel“ arabischer Führer im saudischen Dschidda. Nachdem Gerüchte zuerst wissen wollten, daß dazu auch Saddam Hussein anreisen könnte, vermeldete Bagdad die Abreise des „zweiten Mannes“ in der irakischen Baath-Führung, Izzat Ibrahim, nach der saudischen Hafenstadt. Medien in der Golfregion erwarteten ein Vierertreffen Ibrahims mit dem saudischen König Fahd, Ägyptens Präsident Mubarak und dem jordanischen König Hussein. Mit Ausnahme des irakischen Gesandten standen die anderen mutmaßlichen „Minigipfel„-Teilnehmer in Kontakt mit dem US-Präsidenten Bush.

wasa

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