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Rinderseuche erreicht die Wohnzimmer

■ Hysterische Reaktionen als Konsequenz des Abwiegelns der Gesundheitspolitiker / In Baden-Württemberg werden die Reste der notgeschlachteten Schafe „zwischengelagert“: Landrat verweigert Verbrennung / Flut von Anfragen beim BGA

Berlin (taz) - Die Tierkörperbeseitigungsanstalt als Dauerbegleitung zu Kartoffelchips und Bier. Kein Fernsehabend mehr ohne krepierte Kühe, aufgesägte Rinderhälften und ein mit der Planierraupe zusammengeschobenes Schafsgemetzel. Dazu spricht der Virologe im weißen Labordreß mit Sorgenfalte den entscheidenden Satz: „Eine Übertragung auf den Menschen kann nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden.“ Kein Zweifel: Rinderseuche und Schafskrankheit haben die deutsche Einheit abgelöst. Mit immer neuen schlechten Nachrichten besetzt das Thema den heißen Sommer dieses Jahres. Schon beklagt das Bundesgesundheitsamt (BGA) in einem internen Papier die „Flut von Anfragen von besorgten Laien, Ärzten, Tierärzten und Behörden“ und geißelt die „reißerischen Artikel“ der Presse über „verrückte Kühe“ und den „sogenannten Killervirus“. Doch in demselben Papier stellt auch das BGA seine Überlegungen an, ob denn tatsächlich „eine Gefahr für den Menschen entstanden ist?“ Und auch die BGA-Veterinäre müssen passen: „Abschließend bleibt festzustellen, daß die Frage (der Bedrohung für Menschen) nicht eindeutig beantwortet werden kann. Das bisher lückenhafte Wissen läßt es nicht zu, ein wenn auch geringes potentielles Risiko für den Menschen auszuschließen.“

Diese wissenschaftlich zwingende Botschaft hat die Bevölkerung im Gegensatz zu den Politikern kapiert. Ihre Überreaktion ist nichts anderes als die Konsequenz der „Unterreaktion“ in Bonn, Brüssel und London, wo der Landwirtschaftsminister vergeblich vor den Kameras in sein Roastbeef biß. Je demonstrativer die Gesten der Unbedenklichkeit, um so schneller bricht der Rindfleischmarkt zusammen.

In Baden-Württemberg geht unterdessen die „fieberhafte Suche“ nach einem Verbrennungsofen für die 1.126 notgeschlachteten Schafe der mit „Scrapie“ verseuchten Schwenninger Herde weiter. Die Tiere sind inzwischen zu 18 Tonnen Tiermehl verarbeitet und sollten in Göttingen im Müllheizwerk bei 145 Grad verbrannt werden. Doch der Göttinger Landrat Franz Weber verweigerte die Annahme: Die Verbrennung sei lange nicht so unproblematisch wie behauptet, ließ er dem baden-württembergischen Landwirtschaftsminister Weiser ausrichten. Jetzt wird das Tiermehl erst mal zwischengelagert. Ein nicht näher bezeichnetes „fest verschlossenes“ landeseigenes Gebäude in Karlsruhe hat die 18 Tonnen aufgenommen, erklärte die Landesregierung. Das Tiermehl wird jetzt als „deponiefähiger Hausmüll“ eingestuft.

Zugleich sind in vielen Bundesländern die Veterinäre ausgeströmt, um Kuh- und Schafställe zu inspizieren und nach auffälligen Tieren zu suchen. Auf Trab gebracht werden die Veterinäre durch immer neue Alarmmeldungen. Im nordrhein -westfälischen Höxter waren zwei Ziegen mit verdächtigen Krankheitssysmptomen aufgefallen. Dort hat sich nach den bisherigen Untersuchungen der Scrapie-Verdacht verdichtet. Seitdem häufen sich die Anrufe über „wacklige Kühe“ und „seltsame Schafe“. Im Düsseldorfer Stadtteil Grafenberg sorgte ein pensionierter Mediziner für helle Aufregung, weil er die Krankheit bei einer weidenden Schafherde sicher erkannt haben wollte.

Selbst die notorisch schlafmützigen altgedienten Verbraucherverbände sind aufgewacht und verlangen mal Importverbote für britisches Rindfleisch, mal die Erforschung „des Killervirus“, mal ein Verbot für Tiermehlverfütterung.

Bis vor einem Jahr ist auch in der BRD noch britisches Tiermehl verfüttert worden. Deswegen vermuten nicht wenige Veterinäre, daß das Virus längst in die heimischen Ställe übergesprungen ist. Nachprüfen kann das niemand, denn vor dem Tod der Tiere können weder Rinderseuche noch Schafskrankheit zweifelsfrei diagnostiziert werden. Bauern und Veterinäre können derzeit nur abwarten. Währenddessen verteilen die Metzger Argumentationshilfen des Deutschen Fleischverbandes, um die Kunden zu beruhigen. Doch je länger harte Maßnahmen und Einfuhrverbote auf sich warten lassen, um so hysterischer reagiert die Öffentlichkeit.

Manfred Kriener

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