: Basis-Vertreter wollen raus aus der Schmollecke
■ Entscheidende Verhandlungsrunde der Grünen und Bürgerbewegungen morgen in Ost-Berlin / Heute treffen sich Mitglieder von Basisgruppen, die ein breites Wahlbündnis anstreben / In mehreren Ländern der DDR wird ein Zusammengehen angestrebt
Der Zeitdruck war schon immer eines der größten Probleme, dem sich die Grünen in Ost und West sowie die Bürgerbewegungen der DDR bei ihren Bemühungen um ein Bündnis für die vorgezogenen gesamtdeutschen Wahlen im Dezember stellen mußten. Nun haben die Politiker des beschleunigten Anschlusses mit ihrem Votum für den ersten deutsch-deutschen Urnengang bereits am 14. Oktober nochmal an Zahn zugelegt. Vor diesem Hintergrund wird die nächste Runde der Bündnisgespräche in Ost-Berlin am morgigen Sonntag entscheidend sein. Anders als bei den vorherigen Treffen scheinen diesmal alle Unwägbarkeiten über den Wahlmodus ausgeräumt. Höchste Zeit also, ein grün-bürgerbewegtes Bündnis trotz aller Widrigkeiten und „Lex DSU“ unter Dach und Fach zu bringen.
Die an den Gesprächen Beteiligten - die Grünen aus beiden Staaten, das Neue Forum (NF), Demokratie Jetzt (DJ), die Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM), der Unabhängige Frauenverband (UFV) und die Vereinigte Linke werden vermutlich zweigleisig verfahren. Zum einen gilt es, die Möglichkeit einer Verfassungsklage gegen den Wahlvertrag zu prüfen, zum anderen aber auch, sich auf die Gegebenheiten einzustellen. Für den Bonner Bundesvorstand stehen dabei mehrere Varianten zur Diskussion: die Gründung einer „Wahlpartei“ aus Ost-Grünen und Bürgerbewegungen in der DDR, die dann per Huckepackverfahren mit den West-Grünen ins Parlament einziehen könnte.
Im Falle einer vorherigen grün-grünen Fusion wäre ein solches Zusammengehen nicht möglich, da die Bürgerbewegungen dann als „konkurrierende Partei“ im selben Gebiet gelten würden. Erwogen wird mittlerweile auch, den BürgerrechtlerInnen der DDR zusätzlich Listenplätze im Westen anzubieten, damit möglichst viele ins gesamtdeutsche Parlament einziehen können.
Im Bundesvorstand wird jetzt auch darüber nachgedacht, den Parteinamen „Die Grünen“ mit einer Schrägstrich-Variante anzureichern, um ein deutliches Signal an die Adresse der Bürgerbewegungen zu setzen. Wenn auch am Sonntag wieder die VertreterInnen der einzelnen Gruppen um den Verhandlungstisch sitzen werden, so wird doch die Basis diesmal einen eigenen Akzent setzen. Für heute hat das „Bürgerbündnis“ zu einem republikweiten Treffen ins Ostberliner Zeiss-Planetarium eingeladen, um über die Chancen einer gemeinsamen Zukunft der Bürgerbewegten in einem geeinten Deutschland zu beraten.
Das Bürgerbündnis hatte sich ursprünglich zusammengefunden, um den schleppenden Verhandlungen um ein breites Bündnis von unten einen neuen Schub zu geben. Nun, nach der Einigung über den Wahlmodus und den ins Haus stehenden früheren Wahltermin, wird die Diskussionsveranstaltung unter anderen Vorzeichen stehen. „Wir können nicht in der Schmollecke stehenbleiben und sagen, wir waren die ersten“, kommentierte Katrin Steinetz, Pressesprecherin des Bündnis90 und Mitglied des NF-Pankow, Mitinitiator des Bürgerbündnisses. „Politikfähigkeit heißt auch, aus den Gegebenheiten etwas zu machen“.
Das Bürgerbündnis, das nach seinem ersten Treffen vor zwei Wochen einen offenen Brief durchs Land schickte, kann mittlerweile erste Erfolge verzeichnen: In Thüringen wollen die Grüne Partei und die drei im Bündnis90 zusammengeschlossenen Gruppen (NF, DJ, IFM) zu den Landtagswahlen gemeinsam antreten. In Brandenburg werden neben den Grünen und dem Bündnis90 auch der UFV und die Grauen Panther mit von der Partie sein. In Sachsen-Anhalt wollte das Neue Forum ursprünglich alleine antreten, doch diese Entscheidung soll jetzt am 10. August noch einmal diskutiert werden.
Probleme und innere Auseinandersetzungen gibt es offenbar in Sachsen: Hier hat der Landessprecherrat des Neuen Forums in einem Schreiben angekündigt, alleine antreten zu wollen. Dieser Schritt löste Proteste an der Basis aus, die sich übergangen fühlte. In Mecklenburg will das Neue Forum zu den Landtagswahlen alleine antreten.
Das Neue Forum ist die größte Oppositionsbewegung in der DDR und von seiner Mitgliedschaft her sehr viel heterogener als beispielsweise Demokratie Jetzt. Angesichts der stark ausgeprägten Identität als Basis-und Bürgerbewegung ist der Sprung in den „Reichstag“ für einen Teil der Mitglieder durchaus fragwürdig. Dazu kommen Probleme mit der Grünen Partei in der Vergangenheit sowie Erfahrungen aus den letzten Wahlkämpfen, wo das NF unter dem Ticket Bündnis90 auch die beiden kleineren Organisationen mit vertreten mußte, wenn diese vor Ort gar nicht präsent waren.
Thomas Luck vom Neuen Forum Pankow wies gegenüber der taz darauf hin, daß es nach den Statuten des NF möglich ist, ein Sonder-Republik-Forum einzuberufen, wenn zwanzig Kreisgebiete dies beantragen - eine Initiative, die möglicherweise schon heute beim Bürgerbündnis eingebracht wird. Ein solches Sondertreffen würde letzendlich die Revision der Beschlüsse von Strausberg anstreben. Dort hatte das NF beschlossen, die Entscheidung über Kandidatur und Bündnisse den einzelnen Landesverbänden zu überlassen. Die Vertreter des Neuen Forums bei den Verhandlungen mit den West-Grünen können sich daher nur noch als „Beobachter“ einbringen.
Beate Seel
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