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Kohl schließt Vertrauensfrage aus

■ Die vorgezogenen gesamtdeutschen Wahlen will Helmut Kohl durch eine Verfassungsänderung erreichen / Für die Einheit will der Bundeskanzler den Bürgern in die Tasche greifen

Berlin (dpa/taz) - Helmut Kohl blickt nicht mehr durch: Vieles sei für ihn im Moment „nicht durchsichtig“, sagte der Kanzler mit Blick auf die deutsche Vereinigung. Kohl will jetzt einen „wirklich totalen Kassensturz“ und schließt zum ersten Mal Steuererhöhungen nach der Vereinigung nicht mehr aus. Die vorgezogenen gesamtdeutschen Wahlen am 14.Oktober will Kohl durch eine Verfassungsänderung erreichen. Damit ist die Auflösung des Bundestages durch die Vertrauensfrage des Kanzlers ausgeschlossen.

Nach Kohls Vorstellungen soll es in der ersten gesamtdeutschen Regierung ein DDR-Aufbauministerium geben. Für ihn sei es „ganz zwingend“, daß der erste Aufbauminister ein Politiker aus der DDR sei. Unterdessen nahm Lothar de Maiziere seine Zusage zurück, bei den Landtagswahlen in Brandenburg zu kandidieren. De Maiziere hatte in letzter Zeit nicht ausgeschlossen, sich für ein politisches Amt in der gesamtdeutschen Regierung zu bewerben.

SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine lehnt weiterhin eine Verfassungsänderung ab: „Eine Grundgesetzänderung wird es nicht geben“, sagte er am Sonntag der 'Süddeutschen Zeitung‘. Die gesamtdeutschen Wahlen am 14. Oktober 1990 könnten an der Absage der bundesdeutschen SPD an eine Grundgesetzänderung scheitern. Denn für die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Bundestag sind die Stimmen der SPD nötig. Über die Ablehnung der Verfassungsänderung seien sich Partei- und Fraktionsführung der Sozialdemokraten einig. „Ob fünf Wochen früher gewählt wird oder später - deshalb bekommt niemand in der DDR einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung, und die Luft wird auch nicht sauberer“, sagte Lafontaine. Kohl und de Maiziere sollten ihren Vorschlag, das gesamtdeutsche Parlament am 14. Oktober zu wählen, zurückziehen. Die Wahlperiode des Bundestages ist frühestens am 19.November 1990 beendet.

Am Dienstag wird es Gespräche zwischen Kohl und der SPD -Spitze geben. Eine Meinungsänderung der SPD sei aber nicht zu erwarten, sagte Lafontaine: „Es geht darum, Lösungen für die Menschen in der DDR zu finden.“ Die abrupte Einführung der D-Mark in der DDR sei ein katastrophaler Fehler gewesen. Dem Beitritt der DDR zum 14.10. stehe aber nichts im Weg.

Kanzleramtschef Seiters wies unterdessen den Vorwurf der Verfassungsmanipulation zurück. Die politischen und wirtschaftlichen Probleme in der DDR könne eine starke gesamtdeutsche Regierung besser meistern. Außerdem sei das Grundgesetz durch Präambel und Grundtenor auf die deutsche Einheit festgelegt. „Es geht nicht um koalitions- und parteipolitische Überlegungen, sondern um den Willen der Menschen in Deutschland, vor allem in der DDR.“ Seiters schlägt eine Änderung des Artikel 39 des GG vor. Angesichts der einmaligen historischen Situation spreche kein sachliches Argument gegen den 14. Oktober.

Kohl stellte 1982/83, nach der Ablösung der SPD/FDP -Regierung, schon einmal die Vertrauensfrage und erreichte so die vorzeitige Auflösung des Bundestages zum 6. Januar 1983. Schon damals sprach man von „Mißbrauch der Vertrauensfrage“. Der frühere Verfassungsrichter Helmut Simon bezeichnete ein Mißtrauensvotum in der gegenwärtigen Situation als „absurd und anrüchig“. Der Kanzler „schwebt doch auf einer großen Vertrauenswelle. Ihm da das Mißtrauen auszusprechen, wäre wirklich absolute Manipulation.“ Simon sprach sich aber für eine Verfassungsänderung aus. Kohl müsse sonst den Popularitätsverlust durch ein erneutes Mißtrauensvotum fürchten und solle sich deshalb von diesem Weg distanzieren. Die politischen Entscheidungen für eine vorzeitige Auflösung des Bundestages müßten noch in dieser Woche fallen.

Eine Vertrauensfrage mit fingierter Niederlage des Bundeskanzlers wäre einem Mißbrauch des Artikel 68 des Grundgesetzes gleichgekommen, der eine vorzeitige Auflösung des Bundestages in einer innenpolitisch instabilen Situation vorsieht. Verfassungspolitisch und verfassungsrechtlich sei eine Vertrauensfrage kein guter Weg, sagte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang Mischnick.

Zweifel an der Standhaftigkeit der bundesdeutschen SPD hat der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi angemeldet: allen Dementis zum Trotz rechnet er damit, daß die SPD einer Grundgesetzänderung zustimmt. Die Union werde auf die wirtschaftlichen Probleme der DDR verweisen und wahltaktische Gründe vorwerfen. „Davor wird die SPD Angst haben und dann sagen, dann sagen wir doch lieber ja.“

Die DDR-Regierungskoalition ist durch den überraschenden Vorschlag de Maizieres in eine ernsthafte Krise geraten. Nach Einschätzung des Konsistorialpräsidenten der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg und Spitzenkandidat der Brandenburger SPD für die Landtagswahl, Manfred Stolpe, steht die Koalition vor dem Ende. De Maiziere habe die DDR-SPD bis an die Schmerzgrenze belastet. Er befürchte, daß die Sozialdemokraten am Dienstag die Regierung verlassen. Stolpe betonte aber, er persönlich sei für vorgezogene Wahlen.

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