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IG Metall geht auf politische Distanz

■ Größte Einzelgewerkschaft der Welt will bis zum Jahreswechsel im östlichen Teil Deutschlands eine eigene Organisation aus dem Boden stampfen / Desolate IG Metall-Ost „zwingt zu diesem Schritt“

Frankfurt (dpa) - Die IG Metall zieht in der DDR die Notbremse: Nach einer Phase der Zusammenarbeit mit der dortigen IG Metall geht die größte Einzelgewerkschaft der Welt auf politische Distanz und will bis zum Jahreswechsel eine eigene Organisation im östlichen Teil Deutschlands aus dem Boden stampfen. Der völlig „desolate Zustand“ der IG Metall-Ost und die Ablehnung ihrer Funktionäre bei den Beschäftigten haben den Vorstand in der Frankfurter Zentrale zu einem radikalen Kurswechsel gezwungen.

Während andere DGB-Gewerkschaften durchaus mit den DDR -Kollegen zur Kooperation bereit sind, entschied sich die IG Metall-West nach erheblichem Zeitverlust zum Alleingang. Die ursprüngliche Vorsicht, nicht als Aufkäufer einer östlichen Konkursmasse aufzutreten, hat viel Zeit gekostet und die drängenden organisatorischen Probleme verschärft. Während etwa die Dienstleistungsbranchen Banken, Versicherungen und der Handel sowie die Bauwirtschaft vor einer sicheren Expansionsphase stehen, wird die Metall- und Elektroindustrie in der DDR über Nacht von der gesamten Weltkonkurrenz an die Wand gedrängt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet deshalb mit einem Stellenabbau in dieser Sparte um mindestens 25 Prozent.

Vor diesem Hintergrund wirkte sich der personelle und organisatorische Zustand der DDR-Metallgewerkschaft katastrophal aus. Eine starke Interessenvertretung konnte für Franz Steinkühler und seine Mannschaft nur den „schnellstmöglichen Aufbau der IG Metall der Bundesrepublik auf dem Gebiet der DDR“ bedeuten.

Zwei entscheidende Erfahrungen zwangen zu diesem Entschluß: Bei den Arbeitern und Angestellten haben die Funktionäre der DDR-Gewerkschaften ein miserables Image - ganz im Gegensatz zur „Firma Steinkühler“. Von den Beschäftigten in den ostdeutschen Fabriken erfuhren Steinkühler und sein Stellvertreter Klaus Zwickel, daß sich „die große Politik zwar verändert hat, in den Betrieben aber die gleichen Seilschaften bestehen“. Das gilt sowohl für die Manager, die vorher als stramme SEDler und jetzt als stramme Arbeitgeber auftreten, wie für die betrieblichen Gewerkschaftsleitungen (BGL). „Nach wie vor sind dort die alten Betriebsdirektoren in Amt und Würden und nach wie vor sind überwiegend die gleichen Personen in den BGLs tätig.“

Da die alten Betriebsdirektoren zudem nun auch über das neue Instrument der Entlassung verfügen, entstand bei den Arbeitnehmern keine Aufbruchstimmung, sondern die „Atmosphäre der Angst“ hielt weiter an. Bereitschaft besteht zwar zum unmittelbaren Beitritt in die IG Metall-West. „Wenn ihr mit den alten Funktionären gemeinsame Sache macht, könnt ihr uns gestohlen bleiben“, ist die Mahnung an die westlichen Gewerkschafter. „Wir müssen den Arbeitnehmern jetzt erstmals klarmachen, daß sie sich mit den Zielen einer Gewerkschaft identifizieren und notfalls dafür auch kämpfen müssen“, beschreibt Zwickel das soziale Neuland. Dazu gehöre auch, jeden Monat mit der Beitragszahlung zu dokumentieren, daß man freiwillig in der Gewerkschaft ist.

Formal wird die IG Metall erst am 1.Januar 1991 auch für das Gebiet der DDR zuständig sein. Faktisch hat aber die Interessenvertretung und der Aufbau einer neuen Organisation schon begonnen. Die Mitglieder werden ab sofort mit Wirkung zum 1. Januar aufgenommen, Betriebsratswahlen werden organisiert und notwendiges Personal engagiert.

Ins Auge springt zunächst, daß die künftige regionale Gewerkschaftsstruktur die innerdeutsche Grenze ignoriert. „Integration und sparsamste Personalaufstockung“ sind bei der Neugliederung der Bezirke die Handlungsmaxime. So entstehen nur zwei zusätzliche Metall-Bezirke, und zwar mit Sitz in Berlin und Dresden. Die übrigen Regionen werden den bestehenden Westbezirken Frankfurt, Hamburg und Hannover zugeschlagen. Personell sind deshalb nur zwei komplette Bezirksleitungen neu einzustellen, die formal Angestellte des Vorstandes sind. Die Bevollmächtigten beziehungsweise ihre Stellvertreter in den darunter angesiedelten Verwaltungsstellen werden nach der Satzung dagegen von den Mitgliedern gewählt. Klaus Zwickel - im Vorstand für Tarifpolitik und Organisation zuständig - ist sicher, daß nur ein geringer Teil der ehemaligen Hauptamtlichen der DDR -IG Metall über das notwendige Vertrauen und die Sachkompetenz verfügt, diese Wahlhürde zu meistern. Wenn jemand von der „alten Garde“ gewählt wird, soll er jedoch auch vom Vorstand akzeptiert werden.

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