: Überforderte Rokokogesellschaft
■ betr.: "Nozart war kein Revolutionär", taz vom 4.8.90
betr.: „Mozart war kein Revolutionär“ (Norbert Elias),
taz vom 4.8.90
Norbert Elias sagt in seinem Mozart-Vortrag gegen Ende, daß das Publikum in Wien Mozart in den letzten Jahren weglief, daß Mozart nicht genau verstand, warum und daß er sich dann gehen ließ und sozial absackte. Dann heißt es im letzten Abschnitt, daß der späte Mozart manchmal, wenn er auf die Menschen wütend war, Musik schrieb, die keiner verstand, die weit über den Köpfen der Menschen war. Die Überschrift über den Elias-Vortrag aber lautet: „Mozart war kein Revolutionär.“
Ich glaube, daß zwischen diesen Dingen ein Zusammenhang besteht, der aber etwas anders aussieht als in Elias‘ Perspektive (soweit diese aus dem kleinen Vortrag erkennbar wird).
Tatsächlich ließ das Interesse derjenigen Wiener, die halt in Konzerte gingen, an Mozarts Musik in seinen letzten Lebensjahren deutlich nach. Hört man die Werke aus dieser Zeit gut an, so wundert man sich darüber nicht: Diese Musik enthält mehr und mehr derart Sehnsuchtsvolles, tiefen Schmerz Ansprechendes, Abgründe des Menschlichen Aufreißendes, daß damit eine Rokokogesellschaft wirklich überfordert war. (Übrigens auch noch unsere Gesellschaft, für die - jedenfalls bis zu Hildesheimers Mozartbuch Mozart jenes charmante Wiener Kind geblieben war, das er längst zu sein aufgehört hatte, als ihm die charmanten Wiener wegliefen.) Diese Rokokogesellschaft, nachdem sie sich zunächst durch die helleren Stellen in jenen Werken noch über das Dunkle, das ihr hier begegnete, hinweggetänzelt hatte, blieb dann einfach weg. Sie jagte Mozart nicht weg - im Gegenteil, er durfte/mußte ja beispielsweise noch den Titus komponieren (wenn auch nur für die „Filiale“ Prag) -, aber sie blieb einfach zu Hause, blieb einfach weg. Und eben nicht, weil sie Mozart schon genug kannte (wie Elias vermutete), sondern weil sie diesen Mozart nicht mehr kennen wollte. Denn hätte sie ihn kennengelernt, hätte sie in sich gehen müssen. Nosce te ipsum - das kann gefährlich werden!
Mozart hatte sich entwickelt - immer weiter von dem geschmacklichen Common sense (den er eine Weile gut bedient hatte) weg und diesen immer mehr aufhebend. Das war zwar nicht revolutionär in dem Sinne, daß es irgendetwas laut und mit harter Gewalt umgestürzt hätte. Aber, es stellte allerdings das, was sogenannte Revolutionen laut umzustürzen pflegen, nachhaltig und ganz von innen her in Frage. Nicht bloß den Publikumsgeschmack, sondern das Weltbild der Herrschenden. Indem es dies tat, war es revolutionärer als Revolutionen und Mozart mehr ein Revolutionär als die, die nach ihm musikalisch und politisch auf die Pauke hauten. Er wußte es aber nicht. Und er war immer ein konzilianter Revolutionär: Immer boten seine Stücke auch dem konventionellen Geschmack noch genug Aufenthaltsorte. Vielleicht sind nur Revolutionen, die dies tun, endlich erfolgreich.
„Wut über die Menschen“, die einen oberflächlichen Geschmack hatten, war wohl nicht sein Motiv für das Komponieren solcher schwerwiegenden Musik. Elias vermutet dies jedoch. Nein, eher war es zutiefstes Unbehagen an einer Grundhaltung - ich möchte sie einmal die des „leichten Glücks“ nennen. Und dieses Unbehagen war es spiegelbildlich - auch, was das Wiener Publikum befiel, wenn es immer noch Mozart anhören sollte.
Man stelle sich diesen Mann kurz vor seinem Tode in der Stadt der Revolution, in Paris, vor. Die war ihm ja nicht unbekannt. Hätte er dort mit dieser Musik ein Publikum gefunden? Vermutlich ebensowenig. Er machte nicht die explosiven Klänge, die dort vielleicht Gehör gefunden hätten, und die schäumenden Revolutionäre an der Seine hätten ihm ebenso mißtraut wie die abgestandenen Reaktionäre an der Donau. Ja, wäre dort bekannt geworden, daß er einst der Marie Antoinette versprochen hatte, sie zu heiraten, hätte dies womöglich für die Guillotine gereicht.
Aber er blieb in Wien, und dort blieb ihm, was ihm auch in Paris nur geblieben wäre: zu verkommen, wie Elias schreibt. Zum Schluß schrieb er Musik für Scharlatane (die Zauberflöte für jenen Schikaneder) oder für ungewöhnliche Instrumentenzusammensetzungen - halt für die paar, die sich gerade noch an ihn erinnerten, und die er nochmal für sich interessieren konnte. Es sind die originellsten Werke dabei entstanden, aber sie sind eben Zeichen von Mozarts sozialem Abstieg.
Ist nicht auch sein Tod von daher zu interpretieren? Die medizinische Todesursache ist ja nie präzise festgestellt worden. Das könnte ein Hinweis sein. War sein sozialer Tod die Ursache seines medizinischen? Mußte dieser Mensch 1791 sterben, wo man ihn nicht mehr leben ließ als den, der er war und der er zu werden noch im Begriff war? Und suchte der Tod sich dann nur irgendeinen Anlaß, um das Notwendige zu tun? - Aber ebenso könnte man anders fragen: Mußte er darum 1791 sterben, weil es menschenunmöglich war, auf seinem Weg der Verinnerlichung, der Schwergewichtung der Klänge noch weiterzugehen? Hatte er sich also selbst in die Ewigkeit hineingeschrieben? Und mußte sich darum der Tod irgendeinen medizinischen Anlaß suchen?
Fragen, die manchem spekulativ erscheinen. Möge er bessere stellen. Ich vermute, beide Fragen treffen die Sache. Das soziale Out war dem musikalischen Nach-innen geschuldet, dieses aber war eine Gegenreaktion gegen die Wiener Weltanschauung.
Das Zusammenkommen von sozialem Out und von Verinnerlichung seiner Musik wird sehr deutlich im Komponieren(-müssen) seines letzten Werkes, des Requiems, der Totenmesse. Er durfte sie, um seinen Auftrag- sprich Geldgeber nicht bloßzustellen, nicht als sein Werk komponieren, aber es war sein Werk wie kein anderes. Neben irgendein Klavierkonzert hatte er sich in einiger Distanz stellen können, am Requiem aber war seine ganze Existenz beteiligt. Es wurde seine Totenmesse. Die Identifikation, da sie verboten war, wurde eine totale. Es kann auch nicht anders sein. Und dann mußte Mozart während des Komponierens sterben, konnte das nicht zum Abschluß bringen. Man singt sein letztes Lied nicht fertig aus. Und der Tod konnte dann auch an keiner anderen Stelle eintreten als während des „Lacrymosa“: Jener tränenreiche Tag.
Hans-Peter Gensichen, Pfarrer an der Schloßkirche in Wittenberg (DDR
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen