„Ein Schlag gegen die polnische Demokratie“

■ Interview mit dem Danziger Strahlenbiologen Jerzy Jaskowski, einem der bekanntesten Gegner des Atomkraftwerks Zarnowiec, über den geplanten Weiterbau der Anlage / IAEA lobt „Sicherheitssysteme“ in höchsten Tönen

taz: Die Kommission arbeitet zur Zeit an einem Bericht über die Folgen der Atomkatastrophe von Tschernobyl für Polen. Sie beschäftigen sich damit bereits seit Jahren. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Jaskowski: Die Folgen von Tschernobyl für Polen waren wesentlich schlimmer, als die Behörden das damals zugaben. Anders als der regierungsamtliche Bericht damals behauptete, wurde in Krakau beispielsweise das Vorkommen von Plutoniumisotopen gemessen. Aufgrund der Untersuchungen des Krakauer Instituts für Atomphysik und anderer wissen wir auch, daß es in Masuren bis heute „hot spots“ mit einer Radioaktivität von über 300 Bequerel gibt. Im Jahr nach Tschernobyl, also 1987, verzeichneten wir in der Danziger Gegend einen Anstieg der Säuglingssterblichkeit um 9,9 Prozent. Bis Tschernobyl ging die Kindersterblichkeitsrate in Polen ständig zurück. Nach der Katastrophe stieg sie plötzlich wieder um 6,2 Prozent. In einem Krankenhaus in Danzig stieg die Zahl der Totgeburten von 330 im Jahr 1986 auf 428 im folgenden Jahr. In der Wojewodschaft Krakau wurde ein hundertprozentiger Anstieg an Leukämie festgestellt, in Wroclaw von 40 Prozent.

Was waren die politischen Folgen von Tschernobyl?

Aufgrund der Proteste wurde in den letzten Jahren ein Atomprojekt nach dem anderen zu den Akten gelegt: Die Atommülldeponie in Miedzyrzecz, das geplante Atomkraftwerk Warta bei Poznan, die Pläne, westlich von Danzig bei Darlowo noch ein AKW zu bauen.

Welche Rolle spielt denn die Internationale Atomenergie -Agentur in Wien in diesen Auseinandersetzungen?

Wir sind hier nicht sehr gut auf die IAEA zusprechen. Nach Tschernobyl veröffentlichte sie einen Bericht, demzufolge die Schweiz und Schweden am meisten unter der Katastrophe gelitten haben sollen. Aber das lag schlicht daran, daß dies die einzigen Länder waren, die glaubwürdige Daten ablieferten. Auch von Polen hat die IAEA einfach die amtlichen Daten völlig unkritisch übernommen, und vermutlich tut sie das auch jetzt, im Falle Zarnowiec.

Nur so ist es zu erklären, daß IAEA-Chef Hans Blix immer wieder die Sicherheitssysteme in Zarnowiec in höchsten Tönen gelobt hat. Mir liegt hier ein im übrigen vertraulicher Bericht der Kraftwerksverwaltung vor, aus dem hervorgeht, daß ganz wesentliche Bauteile, wie beispielsweise der Beton, den Sicherheitserfordernissen in keiner Weise entsprechen. Die IAEA hat sich auch nie kritisch über die Atomkraftwerke in der DDR geäußert - aber gerade die werden ja jetzt langsam aus Sicherheitsgründen geschlossen.

Die Regierung Mazowiecki hat den Weiterbau ja erstmal für ein Jahr ausgesetzt. Wie stehen denn jetzt die Chancen, daß Zarnowiec zu Ende gebaut wird? Der Chef der Polnischen Agentur für Atomistik, Prof. Zelazny, galt ja seit einigen Jahren als Gegner von Zarnowiec.

Es scheint, als habe der Professor seine Ansichten geändert. Wir registrieren hier ein verstärktes Interesse westlicher Energiekonzerne, Zarnowiec zu retten. Im Prinzip ist das die einzige Möglichkeit, den Bau zu Ende zu führen, denn Polen selbst fehlt das Geld. Ich finde, der Weiterbau von Zarnowiec ist ein Schlag gegen die polnische Demokratie, weil er Polen wiederum von der UdSSR und ihren Uranlieferungen abhängig und die Abzahlung unserer Westschulden unmöglich macht. Polen selbst produziert keine Geräte, die für den Bau von Atomkraftwerken notwendig sind wir müssen also alles im Ausland einkaufen. Wie aus Berechnungen der Polnischen Akamie der Wissenschaften hervorgeht, betrüge die Zunahme der Verschuldung ca. 20 Millionen Dollar.

Interview: Klaus Bachmann