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Gorbatschows Ultimatum vergeblich

■ Dekret über „Milizen„-Auflösung blieb unbeachtet / Armenien zu Verhandlungen mit Gorbatschow bereit

Moskau (afp/taz) - Präsident Gorbatschows Dekret, das spontan gebildeten bewaffneten Verbänden in der Sowjetunion bis zum heutigen 9.August eine Frist zur Abgabe der Waffen und zur Auflösung setzte, hat nur sehr begrenzte Wirkung gezeigt. Keine einzige der bewaffneten Formationen hat ihre Selbstauflösung bekanntgegeben.

Für die baltischen Republiken, die nach Auskunft Innenminister Bakatins ausdrücklich „mitgemeint“ waren, war das Dekret gegenstandslos: dort trägt die reguläre Polizei Kokarden mit den Landesfarben, was sie keineswegs zu Freischärlern macht. Der Oberste Sowjet Usbekistans folgte Gorbatschows Dekret und installierte Sammelstellen für die Waffen und Auflösungsbüros - mit schwachem Erfolg. Nur ein paar Dutzend Handfeuerwaffen wurden abgegeben. Demgegenüber haben die Parlamente von Georgien und Armenien das Dekret suspendiert, aber Verhandlungen zur Auflösung bzw. Integration der Freiwilligenmilizen in eine künftige armenische Armee angeboten. In den beiden transkaukasischen Republiken und in Aserbaidschan, wo das Parlament so tat, als existierten auf seinem Territorium überhaupt keine bewaffneten Verbände, scheint es fast aussichtslos, die „Milizen“ zu entwaffnen.

Die regulären sowjetischen Streitkräfte haben als Friedensstifter im Kampf der Nationalitäten eklatant versagt: sie griffen überhaupt nicht ein oder zu spät - wenn sie nicht sogar die einheimische Bevölkerung massakrierten wie die Truppen des Innenministeriums in Tiflis 1989. Die Waffenbeschaffung stellt kein Problem dar. Das Gros stammt nicht aus Überfällen, wie die sowjetische Presse nahelegt, sondern wurde „regulär“ von Sowjetsoldaten erworben.

Gorbatschows Dekret zielt in erster Linie auf die bewaffneten Verbände in Armenien. Hier, wo der Völkermord durch türkische Truppen während des 1. Weltkriegs noch in jeder Familie lebendig ist, wird nach den Morden von Sumgait und Baku, denen die reguläre Armee tatenlos zusah, die Selbstverteidigung als elementares Notwehrrecht angesehen. Schätzungen über die Zahl der Voll- oder Teilzeitmilizionäre schwanken zwischen 10- und 40.000 Mann. Die verschiedenen Milizen, unter ihnen die „Nationale armenische Armee“ und das Regiment „Tigran Metz“, koordinieren ihre Aktionen durch einen Militärrat. Ihr Ausbildungszentrum Sissjan, in 3.000 Meter Höhe an den Grenzen zur aserbaidschanischen Enklave Sissjan gelegen, ist für sowjetische Truppen nicht leicht kontrollierbar. Die Milizen führen, wie die AFP -Korrespondentin Bentura berichtete, zum Teil sogar gefangene aserbaidschanische Freischärler als Geiseln mit sich.

Die Wahl des allseits geachteten Lewon Ter-Petrossijan zum Präsidenten des armenischen Obersten Sowjets hat jetzt Chancen zur friedlichen Beilegung des Konflikts eröffnet. Ter-Petrossijan hat im armenischen Parlament die bewaffneten Verbände aufgefordert, sich seiner Kontrolle zu unterstellen und „auf unbedachte Aktionen zu verzichten“. An die Adresse Gorbatschows gerichtet, erklärte Armeniens Präsident: „Wir sind in der Lage, binnen kurzer Zeit mit unseren eigenen Mitteln die komplexen Probleme ... zu lösen und die explosive Situation zu stabilisieren - vorausgesetzt, daß eine Einmischung von außen unterbleibt“. Erste Reaktionen zeigen, daß die Verbände dieser Aufforderung Folge leisten werden; Bedingung ist der Aufbau einer eigenständigen armenischen Armee.

Armeniens Parlament dabattiert in seiner laufenden Sitzung die Souveränitätserklärung der Republik, wobei die Exkommunisten für die Teilnahme an einer erneuerten Föderation eintreten, verschiedene nationale Gruppierungen hingegen die vollständige Trennung wünschen. Da die Sowjetunion bislang als einziger Garant einer, wenn auch eingeschränkten, armenischen Eigenstaatlichkeit auftritt, ist der Entscheid über diese Frage besonders kompliziert. Ter-Petrossijan wurde inzwischen von Gorbatschow, der ihn immerhin als Mitglied des Karabach-Komitees für ein Jahr in Untersuchungshaft geschickt hatte, zur Wahl beglückwünscht. Von einer Zusammenarbeit im Geist gegenständigen Verstehens war die Rede.

Christian Semler

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