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Sternennächte in Santa Fu

■ Falsche Versprechungen, Spaltungspolitik der Insassenvertretung und Mutlosigkeit vieler Gefangener brachen der Knastrandale in Hamburg-Fuhlsbüttel das Rückgrat / Ein Beteiligter berichtet

Montag, den 28. Mai, nachmittags um 17 Uhr: Ich hab keine Lust auf Sport und geh in die Freistunde, als plötzlich Gejohle ausbricht und sich alle Köpfe Richtung Himmel drehen. Da stehen Harry und Michael auf dem Dach und winken uns zu. Ich denk mir, das geht ab, die Presse muß her, bevor die wieder runtergeholt werden.

Ich ruf einen Kumpel an und sag ihm, er soll sofort alle Presse anrufen, die zu erreichen ist, und denen sagen, daß in Fu zwei Leute auf dem Dach stehen und ihr Recht fordern!

Als ich wieder rauskomme, ist die Menge schon beträchtlich angewachsen und langsam dämmert es den Leuten, daß der Mut (der Verzweiflung?) der beiden uns eine so schnell nicht wiederkehrende Chance bietet. Endlich macht sich mal wer grade!

Und von oben kommen schon die Texte gegen den Verwahr- und Kriminalisierungsvollzug, gegen die Isolationsfolter hinter Plexi- und Panzerglas und für die Einhaltung von Menschenrechten und festgeschriebenem aber ständig mißachtetem Strafvollzugsgesetz. Und immer wieder ist von Gewaltlosigkeit die Rede. Erste Sprechchöre fordern den Einlaß der Presse.

Irgendwann nach 18 Uhr wird klar, daß es eine lange kalte Nacht geben wird und die Leute beginnen, Klamotten zu holen.

Um kurz von sieben hängt irgendwer die Hoftür aus und wir setzen uns drauf, damit sie uns nicht vom Haus isolieren können. Es steht fest: keiner will mehr rein!

Inzwischen sind wir schon über 200 Leute und wer nicht draußen ist, hängt an den Fenstern.

Gegen halb acht kommt Kamp raus und droht und lockt ein bißchen. Wir fordern ein Megafon, um das Durcheinander koordinieren zu können. Er lügt: in der Anstalt gäbe es kein Megafon. Kurze Zeit später kommt einer von der Insassenvertretung mit nem Mega raus - es gab also doch eins! Die Wortgewaltigen kommen zum Zuge und nach und nach kristallisieren sich klar die Forderungen raus. Die wichtigste: Curilla soll auf dem Hof vor der Presse und vor uns zur Einhaltung der Menschenrechte und des Strafvollzugsgesetzes Stellung nehmen. Es wird auch klar, daß das lange dauern kann.

Auch wird klar, daß wir nur mit Ruhe und viel Disziplin unser Ziel erreichen können. Von der Vermeidung „englischer Verhältnisse“ wird viel gesprochen, denn wir alle wissen: damit kommen sie klar, dann schicken sie 1.000 Cops rein, und wir sind die bösen Buben, die man zur gebührenden Räson gebracht hat.

Auch die Ausländer (was für ein Wort!) formulieren erste Forderungen, und während Michael auf dem Dach Berichte über die vielen Selbstmorde unter von der Abschiebung bedrohten Gefangenen zur vorm Tor stehenden Presse schreit, werden unten die Abschiebepraktiken ins Kreuzfeuer genommen und die Texte sitzen selbst bei den Jungs, die die Türken sonst nicht gerade so mögen.

Da Michael inzwischen schon krächzt, beschließen wir, das Mega jetzt aufs Dach zu geben, doch der Typ von der Insassenvertretung klemmt sich; er hat sein Wort gegeben, daß das Ding nicht hoch geht. Also wird er kurz abgelenkt, das Teil gezockt und per Band aufs Dach gehievt.

Inzwischen ist es Nacht und verdammt kalt, so daß bald einer auf die Idee kommt: ein Feuer muß her! Großes Gelaber, ein paar Bretter fliegen aus den Fenstern und die Papierkörbe werden zu Feuerstellen umfunktioniert. Die Kurden-Boys führen unter Beifall ein paar Männertänze auf, unsere Frisbee-Gruppe zeigt ihr Können und schon kann man wieder die ersten lächelnden Gesichter sehen.

Plötzlich kommt einer mit nem Arm voll von Brettern, die mir sehr bekannt vorkommen, und meint lakonisch: „Gutes Brennmaterial“ - Teile der Steinmetzhütte! Zwar sollte das Ding nach Anstaltswillen sowieso fallen, doch schließlich hat da jemand eigenmächtig was umgerockert und das macht uns mißtrauisch. Also werden Patroullien gebildet, die auf die aufpassen, die es noch nicht begriffen haben: wir wollen denen da oben keine Chance zur Stürmung geben!

Nach und nach wird die Stimmung immer brüderlicher und als ich nach oben blicke, kann ich zum ersten Mal seit fünf Jahren die Sterne wieder sehen. Mann, was hab ich die vermißt! Als ich den Blick wieder senke, sehe ich die Schergen mit dummen Gesichtern hinter den Scheiben des Apellraums auf C II stehen. Tja, damit hatten sie nicht gerechnet in ihrem Psycho-Knast Kola-Fu, in dem jeder Zusammenhalt durch scheinbar willkürlich vergebene Vergünstigungen und der Angst- und Hoffnungsschiene im Keim erstickt wird.

Keiner von uns hätte mit so viel Zusammenhalt in einem Knast gerechnet, in dem es angeblich über 300 Informanten gibt, und um so schöner erscheint uns jetzt das Gefühl von Zusammengehörigkeit.

Es ist jetzt schon ziemlich spät und kalt und etliche Feuerstellen, schön ordentlich in den Papierkörben begrenzt, lodern zum Himmel. Jede volle Stunde verstummt das Gelaber, wenn aus den Fenstern die Nachrichten dröhnen. Der Pastor schleppt Kannenweise Kaffee raus, und ich bin paranoid genug, ihm zu unterstellen, daß er Schlafmittel reingemixt hat.

Mit dem Zeug aus meiner Kochkiste mache ich Lagerfeuerspagetti mit Rindfleischsoße. Bei den ganzen hungrigen Masken um mich rum bleibt zwar für jeden nur ne Zwergenportion, doch es kommen einfach so viele Peperoni rein, daß man auch nicht mehr runterkriegt.

Die Nacht ist schon fast rum, doch an Schlaf ist nicht zu denken. Der ganze Kaffee und außerdem haben zwei Boys meine Matraze geentert, auf der sie jetzt so friedlich schlummern, daß ich sie nicht hochscheuchen mag.

So vergeht die Zeit bis zum Sonnenaufgang mit euphorischen Gesprächen über unsere Chancen, etwas zu verändern.

Die Anstalt macht auf doof: als wenn nix los wäre, werden die Transporter nach A I gerufen und die Betriebe sollen zur Arbeit ausrücken. Na, das werden wir ihnen vermiesen! Bestimmt die Hälfte ist total geschockt von der buhenden Menge und viele drehen wieder um.

Doch schon jetzt beginnen diese merkwürdigen Dinge mit den Everli Brothers (Insassenvertretung), die ständig irgendwelche paranoiden Sprüche von wegen Stürmung und so einstreuen. Sie reden von „unerfüllbaren Maximalforderungen“ und „realistischem Verhalten“... Sind die doof, haben die keine Geduld oder sie die vielleicht gekauft!?

Im Laufe desTages wird viel zu viel über die Forderungen geredet, was mir monstermäßig auf den Sender geht, und so erinnere ich jeden daran, daß wir gestern abend ein Ehrenwort geleistet haben, nicht eher vom Hof zu gehen, bis Curilla da ist!

Nach dem Zählapell (hat der überhaupt stattgefunden?) hat das ganze Haus nochmal Gelegenheit, sich uns anzuschließen, da alle Türen offen sind. Etliche nehmen die Chance auch wahr und stoßen zu uns. Doch es gibt auch einige vom ersten Tag, die von einer Nacht im Freien genug haben und sich kurz vor dem Einschluß verschmieren.

Um halb acht hat sich unsere Zahl bei eta 250 bis 280 eingependelt.

Dann kommt der Ultra-Aufbauer: In Anstalt VIII sitzen 53 Mann auf dem Rasen und weigern sich reinzugehen! Der Jubel ist unbeschreiblich! Alle rennen zur Steinmetzbaracke (bzw. den Resten davon) an der Mauer von VIII und ein Sprechchor fordert die Jungs mit „Kommt doch rüber, kommt doch rüber!“ auf, uns zu besuchen. Doch der Verstand setzt sich schnell durch, denn wenn sie kommen, wäre das Aus- und Einbruch, eine Straftat und damit Grund zur Stürmung. Alles klar, aber rübergucken wird wohl erlaubt sein! So wird das Dach der Baracke geentert und die von VIII schieben ein Fußballtor an die Mauer. Kurze Zeit später sitzen Dutzende von wild labernden Haftis aus II und VIII auf der Mauer. Das war auch noch nicht da!

Inzwischen hat die Anstaltsleitung dem Pfarrer den Schlüssel abgenommen - sie hatten wohl Angst, wir könnten den zocken - und ihm verboten, uns mit heißem Wasser und Kaffee zu versorgen. Die Hafenleute waren auch an der Mauer, schossen ein paar Pyros rüber und fragten, ob wir irgendwelche Hilfe bräuchten. Wir bitten um Essen und ein zweites Mega, weil das erste auf dem Dach nötiger gebraucht wird, unsere Stimmen durch die andauernden Sprechchöre aber immer leiser würden.

Auf der Sammelwiese beim Tennisplatz tauchen ein paar Glotzen auf, hauptsächlich für Nachrichten, und jemand hat sich nicht gescheut, seine 100-Watt-Anlage mit rauszuschleppen. OK-Radio hämmert in den Abend.

Die Stimmung ist locker, trotzdem wird wieder Streife gelatscht, was auch ganz gut ist, denn irgend son Drömel bricht eine von den Werkstätten auf! Wir nageln das Ding wieder zu. Geduld ist nicht jedermanns Stärke und der Schlafentzug macht reizbar.

Auch im Haus hat sich was getan: B I hat die Türen ausgehängt und auf den Flur gestapelt, is‘ noch nicht mit Einschluß und so... Die haben auch Telephon und machen den Pressedienst.

Ich seh, daß nur einer auf meiner Matratze ratzt, und nutze die Chance, mich da einzuklinken. Ne halbe Stunde hält mich der Gedanke, wie lange wir das noch durchhalten, wach, dann gehen fürs erste die Lichter aus.

Als die Sonne anfängt, alles wärmer werden zu lassen, beginnen die Haftis, sich auf den Wiesen zu verteilen, um richtig zu schlafen. Die zweite Nacht ohne oder mit nur sehr wenig Schlaf macht alle gleichgültig.

Das ist der Zeitpunkt, den sich die E- Brüder ausgesucht haben, um, wie die Saubermänner strahlend, aus dem Haus aufzutauchen. Im Gepäck haben sie einen „realistischen“ 13 -Punkte-Forderungskatalog, der sich oberflächlich betrachtet, zwar ganz gut anhört. Doch was es damit wirklich auf sich hat, läßt sich an einem vergessenen Punkt erkennen: weil sie beide sowieso „offene Tür“ haben, haben sie einfach vergessen, es für alle zu fordern! Mir sagt das viel...

Mit der ihnen eigenen Selbstsicherheit versammeln sie kurz 20 bis 30 Leute um sich (der Rest liegt auf dem Rasen und holt Schlaf nach) und lassen ihren Katalog bejubeln. Kritische Einwände von heiseren und müden Stimmen werden einfach überschrien oder lächerlich gemacht. Einige Zeit später hole ich aus der Pantry von C II Wasser für Kaffee, da seh ich die beiden stehen und auf nen Schergen warten, der sie zur Anstaltsleitung hochbringt. Ich höre, wie der eine zum anderen sagt: „Curilla soll das Ding abnicken, dann Mittagessen und ab ins Bett.“ Für die Zwei ist das Ding gelaufen, die sehnen sich schon nach ihren hübsch eingerichteten Hafträumen!

Die Demoralisierung beginnt ernste Formen anzunehmen! Trotzdem hat sich inzwischen eine Gruppe nicht ganz so Müder gebildet, die sich vorgenommen hat, noch ein paar Leute aufs Dach zu bringen. Dazu gehen wir in die Pantry von C 5 und holen mit einem Band den dicken gelben Schlauch durchs Fenster, von wo aus wir ihn auf das Dach ziehen. Doch beim Ausrichten verhakt sich der Schlauch im Nato-Draht auf dem Vordach der vierten Ebene und kommt den Fenstern zu nahe die Schergen schneiden ihn ab!

Plötzlich sehe ich wieder Pyros über die Mauer fliegen. Gejohle zeigt den Hafenleuten, daß wir sie bemerkt haben, und schon regnet es tolle Sachen vom Himmel: Selters, Obst, Brot, Butter, Schokolade usw., bis eine Mega-Stimme hinter mir quäkt: „OK, Jungs, die Schergen rücken an und die Cops sind sicher auch schon auf dem Weg. Gebt Hackengas, und vielen Dank!“ An das Megafon haben sie also auch gedacht!

Die „Holzbrigade“ hat so ganz nebenbei eine schöne lange Leiter gebaut, mit der sie jetzt auf der Sammelwiese auftauchen. Unter riesigem Beifall wird sie an das Vordach der vierten Ebene gelehnt und ganz ruhig, immer einer nach dem anderen klettern ein gutes Dutzend Leute zu Harry und Michael aufs Dach. „Jabadabaduh!“ würde Fred Feuerstein jetzt sagen! Sofort danach wird die Leiter zerlegt, damit uns keiner Ausbruchsabsichten nachsagen kann.

Auch die Anstalt ist nicht untätig geblieben. Schon zu Mittag haben die Schergen versucht, Leute wegzufangen, die mal kurz auf ihre Station gegangen sind, um Essen zu holen oder auf den Topf zu gehen. Bei einigen haben sie's geschafft und einige haben auch aufgegeben, so daß wir noch knapp 200 Leute sind.

Im Laufe des Tages gibt es viel Besuch und viel Gelaber auf dem Knastgelände. Später tauchen einige der aufgefahrenen Hundertschaften auf. In vielen Gesichtern ist Angst zu sehen.

In einem Schergenhaus hinter der Mauer hat sich der NDR eingemietet und zum erstenmal können wir direkte Statements abgeben. Uns wird versprochen, daß sie in den Tagesthemen gesendet werden. Und die Leute sagen auch, daß sie dableiben werden, was uns wieder ein wenig Sicherheit gibt.

Dann tauchen die E-Brüder wieder auf und reden davon, daß wir Verhandlungsbereitschaft zeigen müßten, damit Curilla sein Gesicht wahren kann. Ich bin zu müde und heiser um ständig gegenanzuschreien. Langsam verliere ich das Interesse und die Fähigkeit, mit logischen Argumenten zu kontern.

Ein paar der Leute kommen wieder vom Dach runter, es wird ihnen zu blöd. Das kann ich irgendwie sogar verstehen, denn jedesmal, wenn die EBs wieder einen Auftritt hatten, sind wir hinterher wieder ein paar weniger.

Als es Zeit für die Tagesthemen ist, versammeln wir uns vor einem Fenster von B I um zu gucken. Die Sendung kostet Disziplin, weil der Ton so leise ist und wir logo erst in den letzten fünf Minuten dran sind. Unser Statement ist natürlich zerhackt, aber dafür ist der Kommentar nicht ganz so schlecht wie erwartet.

Einer vom Dach erzählt uns von den ganzen Leuten, die heute vorm Tor waren und sich solidarisch erklärt haben - es hilft wenig.

Später kommen die beiden E-Brüder raus und bringen diesmal „vier Punkte“ mit: Akzeptieren oder Stürmung! Da kann ich nur lachen und einige lachen mit. Die Punkte sind nur Viehfutter, in Gummi gehalten und, da nicht vor der Presse versprochen, jederzeit widerrufbar. Seemann will morgen früh auf den Hof kommen, Curilla abends in die Kirche und mit 'ner Delegation reden. Sowas hätten wir billiger haben können!

Eine Weile streite ich mich noch rum, bis ich sehe wie sinnlos das Ganze jetzt ist und lege mich auf die Matratze.

Zwei oder drei Stunden Schlaf waren es wohl, doch ich fühl mich nicht wesentlich besser, mit diesem ganzen Gelaber schaffen wir uns selbst. Da braucht die Anstalt keinen Finger krumm zu machen!

Der NDR ist weg (sie machen Schichtwechsel) aber ein Typ von Actionpress ist da. Um uns mit ihm zu unterhalten, setzen wir uns aufs Dach des Hofkolonnenhauses.

Irgendwann kommen die EBs mit Seemann raus und haben „sechs Punkte“ in der Tasche. Wieder haben keine öffentlichen Verhandlungen stattgefunden! Einer der Punkte ist: mehr Knete, eine Lohnstufe höher; ein anderer sagt zu, daß es als Folge des Aufstandes keine großangelegten Verlegungen gibt, und mal wieder alles in Juristensprache gehalten. Für mich heißt das: wir sollen so billig wie möglich gekauft werden, und dabei alle Leute verraten, die sich engagiert haben!

Alle sollen den Hof verlassen, damit Curilla später in der Kirche spricht, natürlich nur vor einer Delegation und ohne Presse!

Ich hab abgeschaltet und bleibe einfach sitzen, sehe zu, wie die ersten Leute ihre Sachen packen und reinwandern.

Nach ner ganzen Weile bleiben acht Leute übrig die beschließen, die nächsten Dächer friedlich zu besetzen. Keiner hat uns bisher direkt aufgefordert, den Hof zu verlassen, und dabei haben wir ja noch das Ehrenwort des Herrn Curilla, daß keinem, der friedlich demonstriert, irgendwelche Zwangsmaßnahmen drohen.

Michael setzt die Presse von der geplanten Besetzung in Kenntnis. Auf dem oberen Dach sind noch sechs Leute. Wir acht klettern mit einem Brett über den Nato-Draht auf die Dächer der leerstehenden Werkstätten.

Dieser Schritt, nun eben alleine weiterzumachen, läßt meinen Kreislauf zusammenklappen, so daß ich mich erstmal in den Schatten setzen muß. Wolfgang erklärt dem Typ von actionpress unsere Situation. Einer ist noch auf dem Hof geblieben, der reicht uns jetzt Decken und unsere Klamotten rauf. Alle fühlen sich ziemlich mies, doch unser Zusammenhalt gibt uns Kraft zum Weitermachen.

Aus den Decken bauen wir einen Sonnenschutz, weil wir alle schon ziemlich verbrannt sind. Für die Presse hängen wir ein mit Parolen wie „keine Nazimethoden“, „keine Zwangsarbeit“ und „Wir fordern Recht“ bemaltes Bettlaken auf. Von Zeit zu Zeit fährt vor der Mauer ein Wagen mit Hebebühne auf, von der ein Kamerateam Aufnahmen macht. Als ich grade vom Dach aus in den Sicherheitsbereich vor der Mauer pinkel, höre ich eine Stimme vor mir: „Hey, könnt ihr uns sehen? Hier in den Bäumen!“ Tatsächlich, in den Bäumen, die direkt vor der anderen Seite der Mauer stehen, sind ein paar Schwarzgekleidete zu sehen. Wir sind doch nicht ganz allein! Wir werden gefragt, was wir brauchen. Aber auch die Schergen haben schon gemerkt, was abgeht und sind hektisch am telefonieren. Wir sagen das den Schwarzen und fordern sie auf, sich schleunigst zu verschmieren. In allen Gesichtern ist wieder Freude zu sehen. Eine knappe Stunde später fängt es wieder an, gute Sachen zu regnen: Tabak, Kaffee, Essen, Zeitungen und auch ein paar Dosen Bier. Viel fällt aber auch in den Sicherheitsbereich.

Der letzte auf dem Hof mag die schönen Sachen nicht den Schergen überlassen. Er klettert über den Zaun. Doch als auf ihn angelegt wird, hebt er die Hände und läßt alles fallen. Zu der Zeit bin ich auf dem anderen Ende des Daches und stehe an der Kante zum Sicherheitsbereich. Der Scherge legt sofort auf mich an und fordert mich auf zurückzutreten, was ich mit erhobenen Händen auch mache. In sein Mikrofon sagt er, daß er Alarm gegeben und entsichert hat. Der im S -Bereich wirft uns jetzt die Sachen hoch und kommt dann wieder raus. Die Situation entspannt sich.

Auf der Straße, die wir einsehen können, versammeln sich junge Leute, die uns zuwinken und ich unterhalte mich über Megafon ein bißchen mit ihnen. Dann fährt Polizei auf und riegelt die Mauer ab.

Am frühen Abend kommen Nachrichten von drinnen: mehrere Knäste haben sich mit uns solidarisch erklärt und ein Bürgerverein hat Curilla aufgefordert, unseren Forderungen nachzukommen. Wir freuen uns und geben das an die Leute vor der Mauer weiter. Nach einer Wassertour weiß Heiner zu berichten, daß die Stimmung im Haus gegen uns ist. Es war sogar schwer, heißes Wasser zu bekommen. Curilla war noch nicht da; wenn er sie erstmal abgespeist hat, wird sich die Stimmung schon ändern. Von draußen werden wir gefragt, was wir von dem Ultimatum bis Mitternacht halten. Durchs Mega sage ich, daß wir von keinem Ultimatum wissen und auch nicht daran interessiert sind. Wir werden solange bleiben, bis sicher ist, daß unsere Menschenrechte gewahrt werden. Einer der Polizisten ruft: „Du bist doch gar kein Mensch!“

Irgendwann fängt das Haus zu buhen und zu pfeifen an: Curilla ist da, verarscht die Leute und die sogenannte heiße Nacht von Santa Fu beginnt. Ich sage über die Mauer: „Hört ihr, was da drinnen los ist? Die scheinen nicht so ganz damit einverstanden, mit dem, was der Curilla zu sagen hat.“

Die Randale im Haus wird immer lauter. Sie scheinen jetzt zu begreifen, warum wir hiergeblieben sind. Einer geht vom Dach, um nähere Infos zu bekommen. Er kommt mit dem letzten Mann vom Hof wieder zurück und hat viel zu berichten: „Kein Einschluß, keine Schergen im Haus, der Sani verteilt Mocadan und Valium in Massen, Türen ausgehängt, Zentrale wird belagert.“ Ich ahne schlimmes, halt aber den Mund.

Der Schlafmangel macht uns alle ziemlich unzurechnungsfähig. Unser neuestes Schlagwort ist: „Lohnstufe vier - in Ostmark - für alle!“

Der Lärm geht über Stunden weiter. Es scheppert, splittert, kracht und klirrt.

Der Sonnenausfgang weckt mich und ich hab ein schlechtes Gefühl. Die Jungs fangen an, für die kommenden Tage vorzusorgen, sie schleppen allen möglichen Kram aufs Dach und einer geht unter die kalte Dusche, ich setze mich aufs hinterste Dach und beobachte beim Kaffeetrinken die Straße. Da sammeln sich immer mehr Cops und Kameras und Richtmikrofone werden aufgebaut - sieht schlecht aus!

Dann ruft jemand aus dem Haus uns zu, daß sie stürmen wollen wegen der Randale in der Nacht. Im Haus sind sie schon. Ich kann behelmte Köpßfe sehen. Dann rücken sie mit Leitern, Knüppeln, Helmen und Schilden an! Ich sag an: „Keine Kamikaze-Aktionen! Ein Tritt in die Fresse von so nem Typen sind glatt zehn Jahre wert!“ Wir setzen und aufs Dach, verhaken die Arme ineinander. Die ersten Schergen kommen hoch: „Kommen Sie, Herr Gurkasch, gehen Sie doch runter!“ „Und dann gibts in die Maske und ab nach I (Hochsicherheitstrakt)!“ - „Nein, ihr habt was versucht, es hat nicht geklappt. Fertig.“ - „OK, ich verlasse freiwillig das Dach.“

Ich steh auf und kletter von Schergen gestützt die Leiter runter. Die anderen schließen sich an. Den Leuten im Haus rufe ich zu: „Für euch haben wir da gesessen! Schönen Dank!“.

Dann sagt einer von der S-Gruppe: „Nicht frei gehen lassen, die Mann“, und mir werden die Arme bis ins Genick hochgedreht. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, wie Wolfgang auf die Schergenschilder eindrischt. Gegen meinen Protest werden mir Tabak und Telefonbuch aus der Tasche gerissen und auf den Boden geworfen. Den anderen auch. Dann geht's ab in die Minna. Klappe zu - Affe tot!

D.G.

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