: Eine Seefestung für das Deutsche Reich
■ „100 Jahre deutsch“ - Helgoland feiert Jubiläum / Mit Prunk und Pomp kam Kaiser Wilhelm II. am 10.August 1890 auf die Nordseeinsel / Die Militärs bestimmten forthin das Schicksal / In beiden Weltkriegen mußte die Bevölkerung evakuiert werden, die Insel wurde vollständig zerstört
Von Thorsten Schmidt
Kapitänleutnant Karl-Otto Pählke ist ein Militär von echtem Schrot und Korn. In vier Funktionen versieht er seinen Dienst auf Helgoland - als Kasernenkommandant, Standortältester, Leiter der Verbindungs- und Signalstelle der Marine. Aber er ist auch ein Helgoländer durch und durch.
Viermal die Woche bittet Karl-Otto Pählke im Auftrag der Kurverwaltung zur Bunkerführung durch die Überreste der zivilen Schutzbunker und referiert die Historie der Insel. Sein zweistündiger Vortrag im feuchtkalten Bunkerstollen ist nicht ohne Widersprüche. Pählke erzählt, wie deutsche Militärs seit 100 Jahren die Insel mißbrauchen, und gerät doch gleichzeitig ins Schwärmen über die „immensen Bauleistungen“ der deutschen Wehrmacht. „Die Helgoländer und die Militärs, das ist ein ständiger Konfliktstoff seit 100 Jahren. Und ich gehörde zu beiden.“
Am 10.August, heute vor 100 Jahren, tauschte Kaiser Wilhelm II. im sogenannten „Sansibar-Vertrag“ Helgoland den Engländern ab.
Sansibar war aber nicht das Tauschobjekt, wie die Legende behauptet, denn Sansibar gehörte gar nicht zu deutschem Kolonialgebiet. Vielmehr gingen das Wituland, das einen Großteil der Fläche des heutigen Kenia und Somalia umfaßte, an Großbritannien. Die Reaktionen auf den Tausch waren in Großbritannien und im Deutschen Reich höchst unterschiedlich. Für die Engländer war Helgoland strategisch bedeutungslos geworden, da es gegen die erstarkende deutsche Seestreitmacht nicht zu verteidigen war. So überwog die Freude über den beträchtlichen Gebietszuwachs. In Deutschland beklagten die Zeitungen, der Kaiser habe „eine Hose gegen einen Hosenknopf eingetauscht“, und forderten die Rücknahme des Vertrages.
Doch Kaiser Wilhelm Zwo wußte sehr wohl, was ihm dieser Tausch einbringen sollte. Kein halbes Jahr nach der Inbesitznahme der Insel ließ er Helgoland zur Festung ausbauen. Damit war das leidvolle Schicksal Helgolands besiegelt. Die Helgoländer hatte selbstredend niemand nach ihrer Meinung gefragt.
Im Laufe der wechselvollen Geschichte der Insel hatte die Regentschaft mehrfach zwischen Dänemark, Schleswig-Gottorp und England gewechselt. Die Helgoländer haben sich darum nie besonders geschert. So war ihnen auch dieser Wechsel der Regierungsmacht ziemlich egal.
Als der Kaiser am 10.August 1890 mit großem Pomp und Pathos auf der Insel aufkreuzte, wird er für die meisten Helgoländer eher lächerlich gewirkt haben. „Indem ich (...) feierlich und für alle Zeiten von Helgoland und seinen Zubehörigkeiten Besitz ergreife, vertraue ich dem bewährten Sinne aller Helgoländer, die von jetzt an Deutsche sein wollen, daß sie mir und dem Vaterlande in unverbrüchlicher Treue zugethan sein werden.“
Für die Helgoländer war entscheidend, daß ihre traditionellen Privilegien - Steuerfreiheit und Befreiung vom Militärdienst - im „Sansibar-Vertrag“ festgeschrieben waren. Ansonsten galt, was einem heute noch alle älteren Frauen und Männer auf Helgoland bestätigen: „Wir Helgoländer sind in erster Linie Helgoländer und dann erst Deutsche.“
Die Militärs bestimmen das Schicksal
Mit dem Ausbau zur Seefestung wurde schon im Jahre 1890 begonnen. Drei- bis viertausend Arbeiter kamen auf die Insel, um den Hafen zu befestigen und Stollen in den Felsen zu hauen, für Unterkünfte, Kantinen und eine Befehlszentrale für die Marine. Von 1908 bis 1914 wurde der Hafen zum Kriegshafen umgebaut. Die Helgoländer beobachten die Veränderungen auf ihrer Insel mit großem Groll, wurden doch allein durch die Hafenerweiterung 85 Hektar Hummerfanggebiet zerstört. Und der Hummerfang war ein traditioneller wichtiger Broterwerb.
Am Tage des Kriegseintritts Deutschlands in den 1.Weltkrieg am 1.8.1914 wurde die Helgoländer Bevölkerung binnen 24 Stunden von ihrer Insel evakuiert und nach Hamburg gebracht. Nur die notwendigsten Habseligkeiten durften mitgenommen werden. Daraufhin kamen 3.900 Soldaten auf die Nordseeinsel. Deutsche Kriegsschiffe operierten von Helgoland aus in mehreren Seeschlachten in der Nordsee. Wegen der Seeblockade Englands entwickelte die deutsche Marineflotte allerdings nicht den vom Kaiser erwünschten Erfolg.
Der Artikel 115 des „Versailler Vertrages“ bestimmte: „Die Festung Helgoland ist zu schleifen.“ Dieser Weisung ist man allerdings nur halbherzig nachgekommen. Sämtliches Kriegsgerät wurde von der Insel geschafft, und Teile des Kriegshafens wurden gesprengt. Doch die Bunkergänge blieben unangetastet.
Als die Helgoländer Frauen und Männer im Winter 1918 wieder auf ihre Insel zurückkehrten, bot sich ihnen ein trauriges Bild: Ihre Häuser standen zwar noch, aber die deutschen Soldaten hatten alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest war. Fenster und Türen waren teilweise herausgerissen worden, und die Witterung hatte das ihrige dazugetan, viele der Häuser unbewohnbar zu machen.
Ab 1934 wurden neue militärische Anlagen auf Helgoland errichtet. 3.000 italienische Gastarbeiter vergrößerten die etwa 600 Meter vor Helgoland befindliche Düne, das Herzstück des Seeheilbades, durch gigantische Sandaufspülungen auf das Doppelte. Auf der Düne entstand ein Flughafen mit zwei Landebahnen. Ab 1935 begann der Ausbau der noch vorhandenen Bunkerstollen.
Am 2.April 1939 besuchte Adolf Hitler Helgoland mit dem Plan eines riesigen Flottenstützpunktes in der Tasche. 3.000 Zwangsarbeiter, hauptsächlich Polen, Holländer und Belgier, bauten während des Krieges ein einmaliges Bunkerstollensystem. Fünf Stockwerke wurden untereinander in die Südspitze des Oberlandes gegraben. Die nur 1.600 Meter lange Insel war zum Kriegsende mit einem 20 Kilometer langen Bunkerstollensystem durchzogen. Oberirdisch wurden Seeziel und Flakbatterien in den Felsen einbetoniert. An den Häfen schlossen sich unterirdische U-Boot-Bunker an.
Bomben und der
„Big Bang“
Der Preis für diesen Aufrüstungswahnsinn war hoch. Ab 1941 gab es ständig Fliegeralarm, denn die alliierten Bomberflugzeuge nahmen Helgoland als Orientierungspunkt, um Hamburg, Berlin oder andere Ziele in Norddeutschland anzufliegen. Im Mai 1942 schoß die deutsche Flak 50 Bomber einer britischen Staffel ab. Daraufhin hatte jeder vorbeifliegende Brite ein paar Bomben für Helgoland über. „Ich verbrachte beinahe meine ganze Kindheit im Bunker“, erzählt Karl-Otto Pählke bei der Bunkerführung, „fast jeden Tag gab es Fliegeralarm. Und ich erinnere mich noch genau an den großen Bombenangriff der Alliierten am 18.April 1945. Oben blieb kein Stein mehr auf dem anderen. Hier unten fürchteten 7.000 Menschen um ihr Leben.“
Sämtliche Gebäude waren zerstört. Zum zweiten Mal mußten die Helgoländer binnen 24 Stunden ihre Insel für mehrere Jahre verlassen.
Seit Kriegsende nutzten die englische und die amerikanische Luftwaffe Helgoland immer wieder für Übungsbombardements. Die Helgoländer Bevölkerung lebte damals verstreut auf 130 Ortschaften in Norddeutschland und mußte der weiteren Zerstörung ihrer Heimat hilflos zusehen. Die Gemeinde Helgoland, so hieß es bei den alliierten Stellen, habe faktisch aufgehört zu bestehen.
Am 18.April 1947 erschütterte die größte nichtnukleare Sprengung der Weltgeschichte die Felseninsel. Die Briten hatten Unmengen von beschlagnahmter Munition nach Helgoland geschafft, um mit einem riesigen Knall („The Big Bang“) die militärischen Bunkeranlagen zu zerstören. Daß Helgoland dabei zur Gänze im Meer versinken sollte, ist allerdings eine Insellegende, die sich bis heute hartnäckig auf Helgoland hält.
Bundeskanzler Adenauer ignorierte alle Proteste der Helgoländer Bevölkerung gegen die fortwährenden Bombardierungen. Er wollte die Westintegration der jungen Bundesrepublik und vermied jeden Konfliktstoff mit den Briten. So blieb es den beiden Heidelberger Studenten Rene Leudesdorff und Georg von Hatzfeldt vorbehalten, durch eine mutige, symbolische Besetzung der menschenleeren Insel am 20.Dezember 1950 für Schlagzeilen zu sorgen.
Helgoland stand plötzlich im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Georg von Hatzfeldt notierte in seinem Tagebuch: „Wir fangen an, populär zu werden, und das stimmt uns sehr bedenklich. Hoffentlich faßt man unsere Demonstration nicht als nationalistisch auf. Was wir wollen, ist doch klar: Aufhören der Bombardements, Rückgabe der Insel an die Helgoländer.“
Ihre Ziele erreichten die beiden Studenten schneller als erwartet. Bereits sieben Wochen später gab der britische Premierminister Clement Attlee die Rückgabe Helgolands bekannt. Mit einer improvisierten Feierstunde zwischen Ruinen und Bombenkratern wurde die Insel an ihre BewohnerInnen zurückgegeben. Der völlige Neuaufbau konnte beginnen.
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