: Großberliner - miefige Möchtegern-Metropolitaner
■ Die geheimen Wünsche und Sehnsüchte der Berliner
Berlin. Haben wir es nicht immer gewußt? Ruhe ist Piefkes erste Bürgerpflicht oder postmaterialistisch formuliert: „In Frieden leben“. Die Piefkes im Osten und Westen von Berlin möchten auch gern „in einer sauberen und intakten Umwelt leben“, „sich gesund erhalten“ und „finanzielle Reserven haben“. Die Wertvorstellungen der Ost und Westberliner, vom Meinungsforschungsinstitut Emnid erhoben im Jahre 1 nach dem Mauerfall, gleichen sich aufs deprimierendste. Die genannten Lebensziele landeten in der vom Senat in Auftrag gegebenen Emnid-Umfrage ganz vorn. Mit Verachtung strafen die miefigen, spießigen Möchtegern -Metropolen-Bewohner Kunst und Kultur oder politisches Engagement. „Einen eigenen Beitrag für gesellschaftliche Entwicklung leisten“ ist auf den Kellerplätzen 19 und 21 angesiedelt, „sich mit Kunst und Kultur befassen“ auf Platz 20. Auch „körperliche Betätigung“ schätzen die Berliner gar nicht, weder im Bett noch in der Freizeit (im unteren Mittelfeld landete das Ziel „jemanden haben, mit dem man sich sexuell gut versteht“), und an modischer Kleidung liegt ihnen noch weniger. Einig waren sich die Berliner auch in vielen anderen Dingen, ehe die Einheit vollzogen wurde. Vor allem die älteren Bewohner der Stadt erinnern sich offensichtlich gut an die schönen Zeiten vor dem Mauerbau und glauben zu 70%, daß es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes zwischen Ost und West gibt. Durchschnittlich glauben knapp 60% hüben und drüben an die Gemeinsamkeiten. Kritischer sind nur die letzten Bastionen der Frontstadt: Jungwestler bis 29 sehen mehr Trennendes, ebenso die notorischen Querulanten des linken politischen Spektrums. CDU-Anhänger dagegen schwelgen im Einheitshoch. Schenkt man den Antworten in der Umfrage Glauben, sind auch die Alltagserfahrungen der letzten Monate für die meisten Berliner positiv. Der Eindruck einer unermüdlich über volle U-Bahnen und Geschäfte nörgelnden Bewohnerschaft wird damit Lügen gestraft. Und die Ost- und Westberliner finden sich auch noch so richtig sympathisch. Für „neugierig“, „freundlich“ und „kontaktfreudig“ halten sich die neuen alten Nachbarn gegenseitig - wen stört es da noch, daß sich die Westler in fast allen Lebensbereichen überlegen fühlen.
kd
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