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Neuer Nestbeschmutzer im KGB

Moskau (dpa/taz) - In der Debatte über Arbeit, Struktur und künftige Funktion des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes KGB hat sich nach dem degradierten General Kaljugin erneut ein Vertreter des Demokratisierungskurses zu Wort gemeldet. Der 40jährige Oberstleutnant Wladimir Morosow berichtete am Samstag im Organ des kommunistischen Jugendverbandes 'Konsomolskaja Prawda‘ von der Existenz einer reformorientierten Gruppierung im KGB. Morosow wandte sich dagegen, daß die Kommunistische Partei im Geheimdienst Parteizellen unterhält. Der Verzicht auf die „führende Rolle“ der Partei in den Staatsorganen hat nach seiner Meinung an der Kontrolle des KGB durch die Partei noch nicht das geringste verändert. Damit setzte sich Morosow in direkten Gegensatz zu KGB-Chef Krjutschkow, der tags zuvor im Fernsehen die Unterstellung der „Organe“ unter den Staatspräsidenten und das Parlament, mithin ihre Entpolitisierung, als vollendete Tatsache hingestellt hatte. Morosow, seit 16 Jahren beim KGB, beklagte die Arbeitsbedingungen im Geheimdienst. Von der schlechten technischen Ausrüstung und der miesen Bezahlung deprimiert, hätten sich zahlreiche Mitarbeiter „an den Westen verkauft“. Der Oberstleutnant schlug eine Halbierung des Personals und eine kräftige Gehaltserhöhung zum Teil in Devisen auszahlbar - für die verbleibenden Agenten vor. Wer fliege, könne Sicherheitsexperte in der Wirtschaft werden, wo ohnehin besser gezahlt werde.

Auch dieser Vorschlag wird nicht Krjutschkows Beifall finden, der jeden Personalabbau ausschließen will. Morosows Auftritt beleuchtet die Krise des KGB. An der „Front der Verbrechensbekämpfung“ hat das Komitee der wohlorganisierten Arbeit von Großbanden ohnmächtig zusehen müssen. Bespitzelung und Unterwanderung „feindlicher“ Gruppierungen hat deren Wachstum nicht behindert. Schließlich sind die Grenztruppen des KGB, indem sie in den Konflikten um Litauen und Asserbaidschan/Armenien mehrfach Absperrdienste leisteten, zwischen die Mühlsteine des Nationalitätenkampfes geraten.

Um sein Image aufzubessern, hat das KGB jetzt einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der seine Tätigkeit rechtsstaatlich fundieren und begrenzen soll, sich damit aber nur einer erneuten massiven Kritik ausgesetzt. Morosow bezeichnete den Entwurf als „schon jetzt vollständig veraltet“. Valeri Sawitzki vom Unionsinstitut für Staat und Recht hat ihn in der 'Neuen Zeit‘ einer vernichtenden Kritik unterzogen. Nach wie vor werde an der Allzuständigkeit der Behörde für Verbrechensbekämpfung und „die Gewährleistung von Recht und Ordnung“ festgehalten. Das KGB maße sich legislative Kompetenzen an. Einerseits entziehe es sich der Auskunftspflicht gegenüber den Bürgern, wolle diese aber weiterhin gesetzlich zur „Mitarbeit“ verpflichten. Nach diesen Attacken wird die Führung des KGB nicht mehr verhindern können, daß der Geheimdienst voll in die öffentliche Diskussion über die Demokratisierung und Dezentralisierung aller bewaffneten Organe in der SU einbezogen wird.

Christian Semler

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