: Freiwilliges Schlichtungswesen
■ Ein Schlichtungsgesetz gibt es nicht - eine Folge der Tarifautonomie
DER ROTE FADEN
TEIL 13
In der Bundesrepublik gibt es zwar ein Tarifvertragsgesetz, das kürzlich in der DDR übernommen wurde (Roter Faden 9), aber kein Gesetz über die Schlichtung von Tarifkonflikten und über den Arbeitskampf. Daraus erklärt sich eine Leerstelle im Staatsvertrag vom 21. Juni 1990 (GBl. I S. 33). Dieser ordnet zwar in Artikel 17 an, daß in der DDR ein „Arbeitskampfrecht ... entsprechend dem Recht der Bundesrepublik Deutschland (gilt)“. Auch enthält er im „Gemeinsamen Protokoll“ (unter A. III) generelle Leitsätze über Koalitionsbestätigung. Es findet sich aber bei den von der DDR zu übernehmenden Gesetzen (Anhang II des Staatsvertrages - unter IV.) keine auf den Tarifkonflikt bezogene Bestimmung. Auszugehen ist somit davon, daß kraft Artikel 17 des Staatsvertrages selbst das Arbeitskampfrecht der Bundesrepublik in die DDR importiert ist. Deshalb haben wir es in unseren roten Faden aufgenommen.
Keine gesetzliche Zwangsschlichtung
Daß es in der Bundesrepublik kein Schlichtungsgesetz gibt, ist erneut Ausdruck der Tarifautonomie. Es hat in der deutschen Geschichte - vor allem in der Weimarer Repblik und in der unmittelbaren Nachkriegszeit - Regelungen gegeben, die eine Schlichtung gesetzlich vorschrieben und die sogar zwingende staatliche Schlichtungssprüche zur Vermeidung von Arbeitskämpfen vorsahen. Die Wirkungen dieser Vorschriften waren besorgniserregend. Demgegenüber bedeutet die Abwesenheit eines Schlichtungsgesetzes - bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Garantie der Koalitionsfreiheit - eine klare Aussage: daß das Geschehen vor der Führung eines Arbeitskampfes - genau wie die tariflichen Regelungen selbst - der autonomen Gestaltung durch die Tarifvertragsparteien unterliegt. Tarifautonomie schließt deshalb einerseits Zwangsschlichtung aus, andererseits die Möglichkeit der freiwilligen Schlichtung ein.
Hier ist eine doppelte Abgrenzung notwendig:
1. Das frühere Arbeitsrechtssystem der DDR konnte mit freiwilliger Schlichtung aus zwei Gründen keine Erfahrungen machen. Einmal wurde die Fiktion der Interessenidentität von Arbeiterklasse und Gesellschaft gegen alle empirische Überzeugungskraft aufrechterhalten und damit die bloße Möglichkeit eines kollektiven Arbeitskonflikts geleugnet. Zum anderen wäre das Auftreten solcher kollektiver Konflikte mit staatlichen Eingriffen, nicht mir privatrechtlicher Koordination der Beteiligten beantwortet worden. Die Konfliktkommissionen waren denn auch vorwiegend auf dem Gebiet individualrechtlicher Streitigkeiten tätig - und auch dann eher mit dem Ziel erzieherischer Einflußnahme als dem der Vermittlung und des Interessenausgleichs. Mit Schlichtung hatten sie nichts zu tun.
2. Aber auch das betriebsverfassungsrechtliche System der Konfliktlösung, das jetzt ebenfalls in der DDR gilt, folgt einer anderen Logik als das freiwillige tarifliche Schlichtungswesen. Die Einigungsstelle (siehe Roter Faden Teil 8) weist Elemente einer Zwangsschlichtung auf: Sie kann bei kollektiven Konflikten gegen den Willen einer Seite angerufen werden und bindende Sprüche erlassen, und der Rückgriff auf den Arbeitskampf ist ausgeschlossen. Dies hat vor der Tarifautonomie nur deshalb Bestand, weil die betriebliche Interessenvertretung kein frei gebildeter Verband ist und weil neben ihr - und meist ihr übergeordnet
-die mit Tarifautonomie ausgestattete gewerkschaftliche Interessenvertretung besteht (nach §76 Abs.8 BetrVG) können die Tarifvertragsparteien sogar die Zuständigkeit der Einigungsstelle an sich ziehen).
Schlichtungsordnungen stellen aufgrund des Gesagten meist selbständige tarifliche Regelungen dar. Zur Zeit sind rund 270 Schlichtungsabkommen gültig. Sie erfassen nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums etwa 65 Prozent der ArbeitnehmerInnen, für die Tarifverträge abgeschlossen werden.
Da Schlichtungsabkommen schwer zugänglich sind, geben wir an dieser Stelle (unwesentlich gekürzt) die Vereinbarung aus dem Druckbereich wieder. Der nächste Teil der Serie erläutert anhand dieses Dokuments die Hauptprobleme der Schlichtung.
Ulrich Mückenberger
Der Autor ist Professor für Arbeitsrecht in Hamburg.
Die ersten zehn Teile der Serie können gegen DM 4,- bestellt werden bei taz-Archiv, z.Hd. Randy Kaufmann, Kochstr. 18, 1 Berlin 61
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen