Aids in Polen: Kartoffelbrei statt Vitamine

■ Interview mit Slavek Starosta von der polnischen Popgruppe „Balkan-Electrique“ über ihre Aids-Aufklärungskampagne und die Situation im östlichen Nachbarland

In Polen waren bis Juli dieses Jahres 40 Menschen an Aids erkrankt, eine unbekannte Zahl von einigen tausend gelten als HIV-infiziert. Diese relativ geringe Verbreitung der Infektionskrankheit hat dazu geführt, daß bisher nur sehr wenig für Aufklärung und Prävention getan wurde. Die sehr populäre polnische Gruppe „Balkan Electrique“, die kürzlich in West-Berlin auftrat, will der Untätigkeit der Regierung eine eigene Intitiative entgegensetzen.

taz: Du bist Mitglied von „Balkan Electrique“, ihr startet derzeit eine Aids-Aufklärungskampagne in Polen und habt die Deutsche Aids-Hilfe um Unterstützung gebeten.

Slavek Starosta: Wir baten die WHO und ausländische Hilfsorganisationen hauptsächlich in Skandinavien um Unterstützung, doch bislang haben wir noch keinen Pfennig bekommen. So müssen wir sehen, was wir ohne viel Geld erreichen können. Derzeit versuchen wir unseren Song über Aids in den Werbeprogrammen der Radiosender unterzubringen. Mit dem 3. Programm des Radios, das bei jungen Leuten sehr populär ist, haben wir die Produktion von kurzen Aufklärungsspots vereinbart. Wir haben auch mit dem polnischen Gesundheitsministerium verhandelt und wahrscheinlich wird die Regierung unsere Single „Kochaj, nie zabijaj“ („Lieben, nicht töten“) finanzieren. Auf der Single soll der Song als Rap-Version gebracht werden. Der Text benennt die Grundregeln von Safer Sex: Schluck kein Sperma, bums mit Kondom, tauscht keine Nadel! Wir denken auch an Spots fürs Fernsehen: Zwei Leute geben sich die Hand oder küßen sich - einer ist positiv einer negativ, und es macht ihnen nichts aus. So etwas würde ich gerne machen. Das hängt natürlich auch von der Finanzierung ab.

Kannst Du etwas über die Situation von HIV-Positiven und Menschen mit Aids in Polen sagen. Da scheinen doch zumindest außerhalb von Warschau Uninformiertheit und irrationale Ängste das Bild zu prägen?

Wahrscheinlich ist der Unterschied zwischen Warschau und dem übrigen Polen gar nicht sehr groß. Grundsätzlich sind die meisten Leute uninformiert, sie wissen zwar, daß Aids sexuell übertragbar ist, es gibt aber auch Vorstellungen, daß Aids eine genetisch bedingte Krankheit ist. Diese Idee ist selbst bei Angehörigen des Gesundheitswesen weit verbreitet. Viele junge Leute glauben, man könne Aids schon bekommen, wenn man sich mit einem Erkrankten im selben Raum aufhält. Auch Handtücher und Händeschütteln werden als Übertragungswege genannt. Daß Wichtigste ist jetzt, die Leute zu beruhigen. Es gibt in Polen nur wenige Erkrankte, und die meisten HIV-Positiven sind Drogenbenutzer - etwa 70 Prozent. Erst dann folgen Schwule und mit einem sehr geringen Anteil Hämophile. Die sogenannte Normalbevölkerung ist bisher kaum betroffen. Wir möchten das den jungen Leuten klarmachen und sie dazu bringen, Kondome zu benutzen.

Wie behandelt die polnische Regierung das Problem Aids? 1984 wurde eine Aids-Kommission beim Gesundheitsministerium eingerichtet, deren einziger Output soll eine Broschüre „Aids - die Pest des 20. Jahrhunderts“ gewesen sein soll.

Die Kommission erarbeitete ein Faltblatt, das an alle Haushalte verteilt werden sollte. Man hatte ganz gute Ideen, scheiterte aber an der mangelnden Unterstützung durch die Regierung. Vor etwa drei Monaten trat die Kommission aus Protest gegen die mangelnde Unterstützung durch die Regierung zurück. Wenn man sieht, welche verqueren Vorstellungen bei Jugendlichen im Bezug auf Aids vorherrschen, sagt das einiges aus über die Effektivität staatlicher Aufklärungsarbeit.

Ein anderes, schwerwiegendes Problem scheint die Versorgung mit Medikamenten zur Aidstherapie zu sein?

Das habe ich erst realisiert, als ich begonnen habe, Menschen mit Aids in Krankenhäusern zu besuchen. Als ich das erste Mal Aidspatienten im Krankenhaus besuchte, bin ich sehr erschrocken. Es gibt in Polen gravierende Probleme für Menschen mit Aids. Eines ist, daß der einzige Ort in Warschau, wo Aidspatienten behandelt werden, eine Station ist, wo normalerweise Patienten mit Hepatitis-B behandelt werden. Sie erhalten zum Beispiel eine Schonkostdiät, die für Aidspatienten katastrophal ist: Kartoffelbrei statt Vitamine. Die Ernährung ist ein Problem, ein anderes ist die Versorgung mit Medikamenten. Es gibt überall Engpässe und Mängel. Daß betrifft nicht nur die Versorgung der Aidspatienten, aber deren medikamentöse Versorgung ist besonders kostspielig. Wer nicht im Krankenhaus mit AZT (AZT ist ein sündhaft teures, antivirales Medikament. In den meisten Ländern ist es die bisher einzige, gegen Aids zugelassene Arznei. Es hemmt nachweislich die Virusvermehrung. - d.Red.) versorgt wird, kann sich das privat unmöglich leisten.

Das heißt aber, daß AZT zumindest in den Krankenhäusern zu haben ist?

Eine bestimmte Menge ist vorhanden, und Aidskranke bekommen es auch. In einem Gespräch mit Dr. Babiuch, der Leiterin der Aidsstation am Warschauer Wolski Spital, mußte ich allerdings erfahren, daß die Versorgung mit Medikamenten insgesamt keineswegs gesichert ist. Sie gab mir eine Liste mit Medikamenten, die dringend benötigt werden. AZT stand nicht auf der Liste, scheint also tatsächlich ausreichend vorhanden. Es fehlen aber vor allem Antibiotika und Virusstatika.

Gibt es ausreichend Kondome?

Mit Kondomen sah das lange nicht so gut aus. Bis vor kurzem waren polnische Kondome ziemlich dick, spröde und brüchig. Neuerdings gibt es Kondome, die in England getestet wurden und britischen Standards entsprechen, sie sind dünner und haben einen Gleitfilm. Die Leute sind es aber nicht gewohnt, Kondome zu benutzen. Viele wissen auch einfach nicht, daß sich die Qualität gebessert hat. Das ist typisch für Polen: Es gab auch ein Joint-venture mit einem westdeutschen Produzenten. Jetzt gibt es diese neuen, besseren Kondome, aber man ist zu verschämt, dafür zu werben. Wir haben jetzt verabredet, die Werbung zu übernehmen, indem wir bei unseren Auftritten diese Kondome verteilen.

Welche Positionen im Bezug auf Aids vertreten Solidarnosc und die katholische Kirche?

Über Solidarnosc etwas zu sagen, ist sehr schwierig, denn die Gewerkschaft ist derzeit in verschiedene Fraktionen zersplittert. Bei der katholischen Kirche ist es etwas anders. Der polnische Primas Kardinal Glemp besuchte vor einiger Zeit Aidspatienten im Krankenhaus. Darüber wurde auch im Fernsehen berichtet. Nur leider konnte man von Glemp nicht viel erkennen, denn er trug einen Mundschutz und Gummihandschuhe. Also man kann ihm das kaum vorwerfen, so scheinen die Bestimmungen zu sein. Mich wollte man auch schon diesem Ritual unterwerfen. Erst nach längeren Diskussionen konnte ich ohne Maske und Handschuhe auf die Station. Der offizielle Standpunkt der Kirche ist, daß man den Menschen mit HIV und Aids helfen soll. In der Nähe von Warschau gibt es ein Haus für Aidskranke, das von Mönchen geführt wird. Es gibt schon ein gewisses Engagement.

Brachte die neue Regierung, die ja von Vertretern der Solidarnosc geführt wird, eine Veränderung innerhalb der polnischen Gesellschaft? Vor kurzem wurde „Lambda“ als erste Schwulengruppe offiziell zugelassen. Ist es heute in Polen leichter für Schwule?

„Lambda“ wurde nach zwei Jahren erfolgloser Bemühungen endlich zugelassen. Die Stimmung hat sich sicherlich verändert. Bislang war die polnische Gesellschaft sehr monolithisch: eine Nation, eine Religion, eine Regierung, die von allen abgelehnt wurde. Alles war einfach, schwarz oder weiß. Heute erkennt man die Vielfältigkeit politischer und sozialer Standpunkte. In dieser Entwicklung gibt es auch Chancen für Schwule und für eine Schwulenbewegung. Während der Regierungszeit der Kommunisten war das kein Thema. Es gab auch keine Skandale in der Öffentlichkeit, daß mal ein Politiker mit einem Stricher erwischt worden wäre.

Wie sieht das schwule Leben in Polen überhaupt aus - gibt es Lokale, oder ist man eher privat?

Im Grunde ist alles eher privat. Das liegt wohl an unserer Mentalität. Wir haben nicht dieses starke Bedürfnis auszugehen. Das gilt nicht nur für Schwule, sondern allgemein für Polen. Es gibt auch gar nicht genügend Bars und Restaurants, und die wenigen sind meist recht teuer. „Lambda“ hat jetzt ein Lokal eröffnet. Ich möchte selbst mit ein paar Freunden eine Disko eröffnen, aber sonst gibt es kaum Lokale. In Warschau existiert nur ein Cafe für Schwule

-für eine Millionenstadt ist das nicht sehr viel.

Interview: Klaus Lucas

Spendenkonto der Deutschen Aids-Hilfe:

Deutsche Apotheker- und Ärztebank

BLZ: 100 906 03, Konto-Nr.: 000 3500 500

Stichwort: Medikamentenhilfe/Polen

Eine Spendenbescheinigung kann auf Wunsch ausgestellt werden. Für Sachspenden stellt die DAH eine Liste der dringend benötigten Medikamente zur Verfügung.