: Graue Stadt am grauen Meer
■ Werner Heldt in Halle
Von Liane Burkhardt
Für alle Nachzügler, denen es weder in Nürnberg, in Berlin oder Bremen gelang, die bisher umfassendste Museumspräsentation der Arbeiten Werner Heldts zu sehen, bietet die Moritzburg Halle nun wirklich die letzte Möglichkeit.
Zunächst - ich lese und staune: Es wäre ohne das wohl jedem Berliner in unguter Erinnerung gebliebene Jubeljahr 1987 kaum zu dieser Werkübersicht gekommen, hätten nicht die Heldt-Ausstellung nebst Katalog der Galerie Brusberg in ebendiesem Jahr zu dem Vorhaben angeregt. Erst daraufhin nahmen sich Nürnberger Museumsexperten des Projekts an. „Werner Heldt ist einer der letzten Künstler, die noch einer gemeinsamen deutschen Kunstgeschichte angehören“, so Lucius Grisebach im Ausstellungskatalog. Heldt starb bereits 1954, erst fünfzigjährig. Mit der Teilung Deutschlands ging auch eine Teilung der künstlerischen Traditionen einher. In den von nun an getrennt verlaufenden Entwicklungslinien nahm seine Kunst (sowohl in der westlichen als auch in der östlichen) lediglich eine unzureichende Randposition ein. Galt er im Westen als der exemplarische Vertreter der kargen fünfziger Jahre, dessen Stille und Melancholie wenig in die Zeit der Amerikanisierung und des wirtschaftlichen Aufschwungs paßten, so ignorierte ihn die Kunstpolitik des Ostteils infolge der Formalismusdiskussion und der Dekadenzkampagnen.
Dunkeltonige Milieumalerei
Inzwischen sind Arbeiten von Werner Heldt auf dem Kunstmarkt Mangelware. Sie verteilen sich auf verhältnismäßig viele private und öffentliche Sammlungen, sind sozusagen weltweit verstreut. Von dem ohnehin nicht mehr als 800 Nummern umfassenden Oeuvre sind hier etwa 40 Bilder sowie 60 Aquarelle und Zeichnungen zu sehen. Wem Heldt aufgrund der Nachkriegsbilder bekannt ist, wird sich etwas irritiert zwischen seinen frühesten Arbeiten (um 1925 bis 1930) bewegen, die noch im elterlichen Pfarrhaus der Berliner Parochialkirche in der Klosterstraße entstanden. Man trifft auf dunkeltönige Milieumalerei mit Menschen in nächtlichen Gassen, getaucht ins Dämmerlicht der von Heldt so geliebten Gaslaternen. Die sehr kleinformatigen Bilder stehen in naher Verwandtschaft zu Zille und Baluschek, hie und da auch zur Spitzwegschen Romantik, ernüchtert freilich und versetzt in die Berliner Kneipen- und Bordellszenerie.
Zugegeben, im Rahmen dessen, was in den Zwanzigern als moderne Kunst galt, erscheinen diese Bilder überraschend, wenn nicht gar befremdlich und wohl nicht ganz zeitgemäß in den Jahren der „Neuen Sachlichkeit“. Erklärung hierfür bietet die Heldtsche Traditionslinie. Fühlte er sich doch vor allem der Berliner Malerei verbunden, wie Krüger, Gaertner, Hummel, Blechen, Menzel bis zu Liebermann, Lesser Ury und Corinth. Kirchner dagegen, Grosz oder Schad als die zeitgenössischen Größen der Kunstgeschichte ignorierte er ausnahmslos.
Fensterlose
Fronten
Andererseits führte Heldt kaum ein Gespräch, in dem zwei Namen der für ihn wichtigsten Künstler ungenannt blieben; beides Träumer in Landschaften und Stadtbildern, beide im Abseits ihrer Zeit stehend. Das waren zum einen der Holländer des 17.Jahrhunderts Hercules Seghers, dessen radierte Visionen sich Heldt immer wieder im Berliner Kupferstichkabinett vorlegen ließ und zum anderen der Franzose des 19.Jahrhunderts Charles Meryon, der Phantast des Pariser Straßenbildes. Denjenigen, der vom jahrzehntelang propagierten Heldt-Klischee geprägt nach Halle kommt, wird der Ausstellungsbeginn mit Sicherheit überraschen. Hat er allerdings die anfängliche Irritation überwunden und ist zu den um 1929/30 entstandenen Arbeiten vorgedrungen, trifft er auch schon auf Heldt-Typisches: die Tonfolge in der Häuserreihung, den eigentümlichen Rhythmus um Auf und Ab der fensterreichen und fensterlosen Fronten, der weißen, farbigen und schwarzen Mauerflächen. Nach der Parisreise 1930 wird die Palette heller und das Milieuhafte zunehmend zurückgedrängt, die Figuren verschwinden aus den Bildern. Heldt malte Berliner Straßen, namenlose, geträumte und menschenleere, die in ihrer nüchternen, anonymen Wesenhaftigkeit den für ihn einzig möglichen Lebensraum boten.
Alles quillt über
vor Leere
Heldt liebte diese Stadt, weniger den glitzernden Westen als vielmehr die Gegenden um den Alexanderplatz, den Prenzlauer Berg bis hoch nach Weissensee und Pankow; und er malte Berlin, als gäbe es nirgends etwas anderes als diese kargen, erstarrten Räume seiner Stadtlandschaften. „Alles quillt über vor Leere, alles ist voller Bedarf“, so Erhart Kästner in einem Gedicht für W.H.
Heldt schrieb selbst Gedichte und Essays, meist dann intensiver, wenn Depressionen ihn weder malen noch zeichnen ließen, so auch während der Naziherrschaft. Bis zum Kriegsende entstand fast kein einziges Bild. Die Ausstellung zeigt aus dieser Zeit Kohlezeichnungen, darunter zwei der bedrückenden Traumzeichnungen: alptanzhafte Inszenierungen seiner Gesichte, Aufzeichnungen der innersten Schrecknisse und Sehnsüchte. Sie entstanden fast ausschließlich vor 1935, seiner Rückkehr aus Spanien. Diese Blätter und die während des zweijährigen Aufenthalts auf Mallorca geschaffenen spanischen Ansichten bleiben ebenso Ausnahmen wie der Zyklus zur Märzrevolution 1848.
Berlin
am Meer
Über die Hälfte der ausgestellten Werke entstammen der Nachkriegszeit, einer für Heldt überaus kontinuierlichen Arbeitsphase, während der die für ihn charakteristischsten Gemälde und Zeichnungen entstanden. Die „verstorbene Weltstadt“ (Werner Haftmann) entzündete von neuem seine Phantasie. Malerisch anknüpfend an die hellfarbigen Arbeiten um 1930, abstrahierte er seine Formensprache zunehmend. Häuser werden zu Zeichen und so als farbige Flächen gegeneinander gekantet, Straßenzüge als rhythmische Flächenfolgen gesehen, der Raum ist aufgehoben. Die Stadt verschwindet und wird bis an den Rand der abstrakten Komposition getrieben. Picasso, Braque sowie Gris wären als Ausgangspunkt zu nennen. Werner Gilles, ein enger Freund Heldts, sieht die späten Bilder von „kristallinischer Klarheit, nicht endenden Träumen und von schmetterlingshaften Farben“ erfüllt. Auf dem Weg zwischen den Heldtschen Stadtlandschaften und seinen späten Stadtstilleben hängen die Fensterbilder als wichtiges Verbindungsglied. In ihnen greifen das Stadtbild und das Stilleben nun übergangslos ineinander, werden Vorder- und Hintergrund austauschbar und zunehmend in ein und dieselbe Bildfläche projiziert. Zumindest erwähnt soll die für die Nachkriegszeit wesentliche Werkgruppe Berlin am Meer werden. Meer steht hierbei für Heldt als Erinnerung an den eiszeitlichen Meeresboden, wo Schutthalden zu Dünen werden und Schiffe der Erlösung im Häusermeer schwimmen. Meer war für ihn aber auch Tod und Verzweiflung. Das Bild Husums, der „grauen Stadt am grauen Meer“ (Theodor Strom) spielt dabei eine Rolle. Nicht unbegründet benennt er selbst seine langen depressiven Phasen als „Husumstimmung“. In Halle werden dazu neben zwei Arbeiten in Öl vor allem Kohle- und Tuschzeichnungen gezeigt, in denen sich die Stadt -Bildzeichen aus festen Umrißlinien und dem kontrastierenden Gegeneinander schwarzer und weißer Flächen zusammensetzen und vom Meer als Ornament geschwungener Linien umspült werden.
Wer ruhig durch die Ausstellungsräume geht, sollte sich der ihn unweigerlich erfüllenden spröden Melancholie nicht verschließen und sie auch im Anschluß in sich nachklingen lassen.
Nachsatz
Der so gar nicht in seine Zeit passende Werner Heldt wurde insbesondere für das Profil der nachfolgenden Künstlergenerationen im von ihm bevorzugten Ostteil Berlins wichtig. Gerade die Heldtschen Nachkriegsarbeiten dienten denen, die seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre durch die Kunsttheorie unter der Bezeichnung „Berliner Schule“ subsummiert wurden, als ein Orientierungspunkt. So zum Beispiel während der sogenannten „schwarzen Perioden“, die um und nach 1957 für etliche dieser Künstler werkkennzeichnend waren (aus der Generation um Manfred und dem Penck-Lehrer Jürgen Böttcher, Harald Metzkes, Horst Zickelbein, Ronald Paris, Ernst Schroeder, Klaus Roenspieß, Helmut Symmangk, Lothar Böhme, Dieter Goltzsche). Zwar werden auch jene Arbeiten von Flächigkeit, harter Konturierung des Gegenstandes, sparsamer Farbwahl und strenger Komposition bestimmt, doch geht es im Vergleich zu Heldtschen Bildern weniger um Nähe oder Ferne der individuellen Stile, sondern in erster Linie um die Übereinstimmung in Bezug auf eine bewußte künstlerische Grundentscheidung. Es geht um die besondere Art, in der sich die Künstler zu dem verhalten, was sie real umgibt bzw. wie sie sich dem Tatsächlichen zuwenden; es geht weiterhin um die mit Heldt in Einklang stehenden sensationsfernen, stillen und nüchternen Sujets bei der Wahl des unmittelbaren Lebensraumes zum „selbst durchlebten“ Bildgegenstand. Die Heldtsche Traditionslinie ist bis heute zu verfolgen. Gilt Benanntes doch ebenso für die Jüngeren, wie Hannes Schimansky und Harald Toppl, Jochaim Böttcher, Siegfried Völker, Wulff Sailer, Micha Voges, Roland Nicolaus oder Martin Seidemann.
Die Ausstellung wird bis zum 16.September 1990 gezeigt. Der Katalog enthält eine neue recherchierte Biographie, zahlreiche Textbeiträge sowie ganzseitige Abbildungen der gezeigten Werke. Öffnungszeiten: Di 14-21, Mi-So 10-13 und 14-18 Uhr.
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