Wider den Buchstaben des Gesetzes

■ Chabrols „Inspektor Lavardin“ um 20 Uhr auf West 3

Hühnchen in Essig lautete der Titel des ersten Films um die Figur des kauzigen Inspektor Lavardin. Das Drehbuch schrieb Claude Chabrol gemeinsam mit Dominique Roulet, dem Autor der Romanvorlage Une Mort En Trop.

Dieser eigenwillige Inspektor faszinierte Chabrol so sehr, daß er ihn, in erneuter Zusammenarbeit mit Roulet, gleich noch einmal zum Helden einer ähnlich mokanten Geschichte machte.

In beiden Fällen kommt Lavardin als Außenstehender jeweils in eine kleine französische Stadt, um einen Mord aufzuklären. Er trifft auf korrupte Honoratioren, bigotte Heuchler und lüsterne Notabeln, auf in moralischem Sinne unschuldige Mörder und ebenso schuldige Mordopfer. Mit seinen sehr eigenwilligen Methoden klärt Lavardin die Fälle, manipuliert aber Indizien und Beweise dergestalt, daß nicht dem Buchstaben des Gesetzes, sondern der Gerechtigkeit Genüge getan wird.

Sein zweiter Fall, überschrieben Inspektor Lavardin oder die Gerechtigkeit, führt den sympathisch wirkenden, aber abgebrüht agierenden Trenchcoatträger in den mondänen Badeort Dinan an der bretonischen Küste. Die grotesk zugerichtete Leiche eines Schriftstellers ist angeschwemmt worden, unbekleidet und mit dem Wörtchen „Schwein“ gekennzeichnet schaukelte sie im seichten Küstengewässer. Lavardin nistet sich mit heimlicher Freude im Hause der Gattin des Ermordeten ein, mit der er einst liiert war. Bald entdeckt der aufmerksame Beamte, daß in diesem luxuriösen Vogelkäfig jeder sein kleines Geheimnis hegt. Die Tochter des Hauses, tagsüber ein blasses Schulmädchen, tobt nächtens aufgeputzt durch verrufene Etablissements. Der Bruder der Hausherrin Helene ist schwul und scheint früher schon einmal in einen Mordfall verwickelt gewesen zu sein. Er pflegt ein eigenartiges Hobby: Mit Hingabe widmet er sich seiner Kollektion künstlicher Augen. Schließlich stellt sich heraus, daß auch der Ermordete selbst, nach außen hin ein konservativer, moralinsaurer Verfechter strengster Sittsamkeit, kein Kind von Traurigkeit war.

In vielen Filmen widmete sich Chabrol dem verlotterten Spieß- und Kleinbürgertum, insbesondere dem der französischen Provinz. Wie weiland „Doktor Popaul“, so sind die Lavardin-Filme bitterböse Kabinettstückchen filmischer Satire, ausgestattet mit trockenem Witz, augenzwinkerndem Zynismus und maliziös inszeniert. Wilfried Wiegand vergleicht Chabrols Lavardin mit den Helden der Chandler -Adaptionen: „Wie der Detektiv in The big sleep geht auch die Hauptfigur im Inspecteur Lavardin durch eine moralisch verkehrte Welt, hier wie dort wird am Schluß durch radikale Verdoppelung der Unmmoral eine neue Moral konstituiert...“ - Mehr aber soll an dieser Stelle denn doch nicht verraten werden...

Harald Keller