Kein Präsident ist vollkommen

■ Corazon Aquino versteht sich als philippinische Übergangspräsidentin

INTERVIEW

taz: Die politischen Entwicklungen in Osteuropa könnten sich auf Entwicklungsländer wie die Philippinen in Form von verminderten Entwicklungshilfezahlungen auswirken. Wie wollen Sie die möglichen Auswirkungen abdämpfen?

Corazon Aquino: Die mögliche Verminderung der Entwicklungshilfezahlungen für Entwicklungsländer, wie wir eines sind, gehen wir bereits an. Wir unternehmen konkrete Schritte, neue Märkte für unsere Produkte zu erschließen und unsere Beziehungen zu anderen Nachbarn in Asien zu verbessern.

Welche Aspekte des für 1992 geplanten europäischen Binnenmarktes sehen Sie für die Philippinen als vor- oder nachteilhaft an?

Der europäische Binnenmarkt könnte für unsere Waren und Dienstleistungen ein großer Markt sein, wenn es uns gelingt, dort Fuß zu fassen. Andererseits könnte der Europäische Binnenmarkt für Nicht-EG-Länder „verschlossen“ sein. Das könnte ein großer Nachteil für die kleineren Länder wie die Philippinen sein. Schon heute exportieren wir in einige Länder der EG. Ein größerer Anteil auf dem europäischen Markt wäre für uns nicht unvorteilhaft.

Erwägen Sie angesichts der derzeitigen Energieverknappung den Bau eines Atomkraftwerks, falls das AKW in Bataan nicht in Betrieb genommen werden kann?

Wir sind auf der Suche nach alternativen Energiequellen, um der gegenwärtigen Energiekrise zu begegnen. Obwohl wir gegenüber der Atomenergie an sich nicht negativ eingestellt sind, sind wir aus Sicherheitsgründen gegen die Anlage in Bataan. Wir verfügen in unserem Land für unseren langfristigen Bedarf über ausreichende nichtnukleare Energiequellen wie Wasser-, geothermische und Kohleenergie, und wir haben deren Ausbeutung bereits geplant.

Verteidigungsminister Fidel Ramos erklärte, daß die NPA (New Peoples Army), die stärkste Bedrohung für die nationale Sicherheit, auf dem Rückzug ist. Ist die „total war campaign“ (Kampagne des totalen Kriegs) oder die „total approach strategy“ (Strategie des gesamtheitlichen Ansatzes) dann noch gerechtfertigt?

Wir müssen das erfolgreiche Vorgehen gegen den NPA-Aufstand weiterführen. Sie haben die Konfrontaion in die städtischen Gebiete getragen und versucht, in der Bevölkerung Terror zu säen, weil sie in den ländlichen Regionen an Boden verloren haben. Obwohl wir über Spezialtruppen verfügen, die diese Terroristen an weiteren Gewalttaten hindern sollen, werden wir dennoch immer an unser Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte denken. Unser gesamtheitlicher Ansatz zielt auf die sozialen und ökonomischen Wurzeln des Aufstandes und baut nicht auf eine rein militärische Lösung.

Glauben Sie aufgrund der jünsten Offenbarungen der Generäle Tadiar und Galido, daß die Vereinigten Staaten in den letzten Putschversuch verwickelt waren?

Ich zweifle die wiederholt erklärte Unterstützung der Amerikaner unserer rechtmäßig konstituierten Regierung nicht an.

Fühlen sie sich im Hinblick auf einen neuerlich drohenden Putschversuch und angesichts der Aufständischen vom Militär unter Druck gesetzt?

Die unzufriedenen und fehlgeleiteten Elemente in unserer Armee machen kaum zwei Prozent der Militärstreitkräfte aus. Obwohl sie einen Propagandakrieg führen und unschuldige Bürger in Presseartikeln einschüchtern, bleiben sie eine Minderheit. Die Bevölkerung kennt ihre wahre Natur - es sind machtgierige Rechtsextremisten, die durch Gewaltanwendung die Herrschaft erlangen wollen.

Sie haben wiederholt Ihr Engagement für den Schutz der Menschenrechte unterstrichen, doch die Menschenrechtsverstöße greifen weiter um sich. Der Menschenrechtsbericht des Senats legt schwerwiegende Beweise gegen Sie vor. Welche konkreten Schritte unternehmen Sie zur Milderung dieser Situation?

Ich bin nicht der Auffassung, daß der Menschenrechtsbericht des Senats „schwerwiegende“ Beweise gegen mich vorlegt, wie sie es in Ihrer Fragestellung behaupten. Obwohl wir zugegeben haben, daß es uns nicht gelungen ist, alle Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, unterstreichen wir ausdrücklich, daß Unterdrückung in jeglicher Form nicht die Politik dieser Regierung ist. Wir besitzen eine verfassungsmäßig beauftragte Menschenrechtskommission, wir haben im Außenministerium einen mit dem Schutz der Menschenrechte betrauten, stellvertretenden Sekretär, und kein Offizier der Armee kann befördert werden, wenn ein Verstoß gegen die Menschenrechte in seiner Akte vermerkt ist.

Leider sind die Menschenrechtsverletzungen an ermordeten Armee- und Polizeiangehörigen sowie an von Rebellen getöteten örtlichen Beamten weder in dem Senatsbericht noch von irgendwelchen internationalen Gruppen zur Überwachung der Einhaltung der Menschenrechte berücksichtigt worden. Auf uns lasteten zusätzlich eine bankrotte Wirtschaft, eine hohe Auslandsverschuldung und ein Aufstand. Alle diese Faktoren tragen zu Menschenrechtsverletzungen bei.

Welche Zielsetzungen hoffen Sie, bei der Landreform noch zu verwirklichen?

Ich hoffe, ein effektives Agrarreformprogramm durchführen zu können, das unseren Bauern die dringend benötigten Förderungsstrukturen zur Verfügung stellt, um die Produktivität ihrer Betriebe zu steigern. Zu diesen Strukturen gehören eine verbesserte Infrastruktur, die Förderung von Verdienstmöglichkeiten und eine verbesserte Bereitstellung der grundlegenden Versorgung.

In welcher Weise glauben Sie, den philippinischen Frauen eine Art Vorbild gewesen zu sein?

Ich würde mir wünschen, dazu beigetragen zu haben, die philippinischen Frauen zu ermutigen, beim Aufbau unseres Landes eine aktive Rolle zu spielen. Ich glaube bewiesen zu haben, daß eine Filippina als Präsidentin von 63 Millionen Menschen nicht ihre Weiblichkeit verlieren muß.

Sie haben wiederholt erklärt, für eine zweite Regierungsperiode nicht als Präsidentin zu kandidieren. Würden Sie sich für den Fall, daß sich Ihr Cousin Danding Cojuangco bewirbt, gegen ihn antreten?

Ich habe bereits gesagt, daß ich mich als Übergangspräsidentin für eine Periode des Aufbaus einer neuen Demokratie betrachte. Ich bin davon überzeugt, daß unser Volk politische Reife besitzt und in der Lage wäre, Führer auszuwählen, von denen es weiß, daß sie sich für das Wohl des Volkes einsetzen und nicht für eigennützige Interessen.

Was würden Sie als die bisher größten Erfolge für Sie als Präsidentin bezeichnen?

Ich glaube, zu den größten Erfolgen meiner Regierung zählen trotz einiger Rückschläge die Wiederherstellung eines demokratischen Systems, eine unabhängige Justiz und Gesetzgebung, ein regionales Beamtentum, der dramatische Wirtschaftsumschwung von einem Minuswachstum zu Beginn meiner Regierungszeit zu einem bescheidenen, aber stetigen Wachstum von 6 Prozent, das wiedererlangte internationale Vertrauen in die Philippinen, die Milderung der Arbeitslosigkeit durch verstärkte Investitionen und das umfassende Agrarreformprogramm.

In welcher Hinsicht glauben Sie, weniger erfolgreich gewesen zu sein?

Kein Präsident ist vollkommen. Wir haben nicht bei allen Anklang gefunden, besonders bei jenen nicht, die den Erfolg unserer demokratischen Lebensweise nicht wünschen, doch wir können es uns nicht leisten, bei unseren Bemühungen aus der Bahn geworfen zu werden. Interview: Violet Valdez

Übersetzung: Stefan Schüt