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Germans to the Front? Null-Lösung!

■ Die Öffnung der Tür zur Dritten Welt für die Bundeswehr ist das Anstellen einer Maschine von höchster Explosionsgefahr

DEBATTE

Gerade noch schien die ewige Normalität in der Welt ausgebrochen zu sein, als Saddams Überfall auf Kuwait wieder gezeigt hat, wie dünn die Decke dieser Normalität bleibt. Gerade noch schienen die jahrelang unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit eskalierenden Debatten über den Einsatz deutscher Truppen in der Dritten Welt (SPD: nur unter UNO-Flagge; CDU: unter UNO- und anderen Flaggen) anachronistisch, da steht diese Ernstfall-Frage so ernst wie noch nie am Horizont. In der 'Bild am Sonntag‘ vom 12.8. drängte CDU-Wehrexperte Hauser, wie es wörtlich hieß, „auf Tempo“. Er ist für den Einsatz einer „europäischen Eingreiftruppe gegen den Irak - wenn nicht anders möglich, durch blitzartige Grundgesetz-Änderung. (Blitzkriegstempo ist ja in Sachen Wiedervereinigung geübt worden.) Die SPD -Experten Opel und Kolbow stimmten blitzartig zu: „Ich glaube, daß wir mehrheitlich umdenken und beschließen werden, in Zukunft bei den Sondertruppen (...) gegen Kriegstreiber wie Saddam mitzumachen.“

Bundeswehreinsatz am Golf ist eine wichtigere Entscheidung als die Pershing-Stationierung

In dieser Situation, in der möglicherweise also eine wichtigere Entscheidung als die über die Wiedervereinigung, jedenfalls eine viel wichtigere und grundsätzlichere als über die Stationierung der Pershings, im Eiltempo ohne Debatte der deutschen Zivilgesellschaften durchgezogen wird, hat auch die taz durch die Beiträge von Christian Semler, Bernd Ulrich und Udo Knapp (11.8.) ein dringend notwendiges Brainstorming eröffnet. Am deutlichsten spricht sich Udo Knapp für deutsche militärische Einsätze „out of area“, konkret gegen Saddam, im Rahmen der UNO oder einer anderen „internationalen Truppe“ aus. Aber auch die beiden anderen gestehen, eine Alternative dazu nur noch mit äußerster Mühe (und wohl nur noch für kurze Zeit) begründen zu können. Ich sehe eine Menge Argumente, die dabei zu kurz gekommen sind.

Auffällig ist zunächst, daß alle drei Beiträge kasuistisch, d.h. auf den konkreten Fall Saddam bezogen, argumentieren. Dominant ist das mehrfach auftauchende Argument, die von Bush formulierte Analogie zwischen Hitler und Saddam sei treffend. Das mag im Charakterbild ('Bild‘ spricht seit kurzem nur noch von dem „Irren von Bagdad“) mehr oder weniger zutreffen: aber trifft es auch in der ökonomischen und militärischen Stärke zu? Dann stände uns wohl ein Weltkrieg bevor. Mir scheinen die westeuropäischen Prognosen viel wahrscheinlicher, die für die nächsten Tage oder Wochen eine erfolgreiche US-Aktion „Falkland en gros“ erwarten. Es geht also darum, ob „wir“ dabeigewesen sein wollen. Kasuistisch gesehen, ist also dies die Frage: Selbst wenn der Schlag gegen Saddam die Normal-Welt-Ordnung für ein Jahrzehnt sichern würde, würde „uns“ das zwingen mitzumachen?

Diese Frage führt vom Kasuistischen nun doch zurück zum Langfristigen und Prinzipiellen: Die Normalität, die sich mit Gorbatschow im Weltmaßstab durchgesetzt zu haben scheint, ist die der konkurrenzliberalen Weltwirtschaftsordnung. Wenn es stimmen sollte, daß diese Ordnung die Dritte Welt in absehbarer Zeit nicht zu einem auch nur halb so großen Wohlstand führen kann wie „unserem“, dann wird die Normalität in den nächsten Jahrzehnten immer wieder zu vergleichbaren Krisen führen. Einmal seinen „Irrsinn“ abgerechnet, hatte Saddam ja Gründe für seinen Überfall: Er war so bankrott, daß er nichts mehr zu verlieren und viel Öl zu gewinnen hatte; er konnte sich als arabischer Bismarck inszenieren, der mit Blut und Eisen die arabische Wiedervereinigung durchsetzen will usw. Zumindest der erste Grund dürfte irgendwie mit der konkurrenzliberalen Weltwirtschaftsordnung zusammenhängen, zum Beispiel damit, daß westliche (und natürlich östliche) Regierungen, BNDs und Firmen ihn mit Krediten, Fabriken und Waffen regelrecht vollgestopft haben (so wie zuvor den Schah und jetzt König Fahd). Sollte es nicht also am Ende doch an dem sein, daß eben die konkurrenzliberale Weltwirtschaftsordnung tendenziell von Zeit zu Zeit in der Dritten Welt „Irre“ hervorbringt?

Damit wären wir beim Prinzipiellen: Es ist irgendwie logisch, daß die USA 250.000 Mann aufmarschieren lassen, wenn es ums billige Öl geht. Aber es gehe nicht nur ums Öl, sondern auch tatsächlich um Prinzipien der Nichtintervention? Richtig: Ein Teil der Truppen kommt gerade aus Panama... (von dem Überfall Saddams auf den Iran, der Annexion Ostjerusalems usw. ganz zu schweigen).

Man kann also nicht genug betonen, daß es bei der Öffnung der Dritten Welt für deutsche Truppen um eine strukturelle Entscheidung, um eine Langzeit- und Grundsatzentscheidung und nicht um den Einzelfall eines „Irren“ geht. Der erste Einsatz bedeutet den Eintritt der Bundesrepublik in eine „Weltpolizei“, die praktisch stets nach Interessenlagen nördlicher reicher Metropolen handeln wird - mit allen unberechenbaren Eskalationsgefahren und mit dem aufschaukelnden Effekt des Nord-Süd-Konflikts. Gegen Saddam gibt es in der Region genug militärische Gegengewichte; Out -of-area-Interventionen koppeln bloß kleine Pulverfässer an noch zehnmal größere an. Natürlich sagt man: Aber Frankreich und England machen das doch auch! Schlimm genug! Es wäre demgegenüber die einzigartige Chance Deutschlands, seine bisher in dieser Frage alternative Haltung, die sich aus der einmaligen Erfahrung zweier Überfälle auf die ganze Welt und der daraus im Grundgesetz gezogenen Lehre ergibt, als prinzipiell beizubehalten und anderen zu erläutern. Aber unser Öl? Gut, wenn anerkannt wird, daß auch Öl im Spiel ist: Wäre es in Notzeiten nicht wirklich besser, Fahrrad zu fahren als am Golf (bzw. später in Mittel- und Südamerika, in Südafrika oder sonstwo) mitzubomben?

Wäre es in Notzeiten nicht wirklich besser, Fahrrad zu fahren als am Golf mitzubomben?

Wahrscheinlich haben die Grünen im Bundestag in diesem Augenblick die letzte Chance, durch eine sicherlich sehr populäre „Anti-Eskalations-Erklärung“ ihrer Utopie von der „zivilen Weltmacht“ (Antje Vollmer) Nachdruck zu verleihen. Darin müßte klipp und klar und prinzipiell die Versuchung abgewiesen werden, entweder bloß unter UNO-Flagge oder gleich unter verschiedenen möglichen Flaggen als „reicher Weltpolizist“ mitzuschlagen. (Wer wie Udo Knapp unbedingt Germans to the Front schicken will, sollte sich wenigstens selbst als erster freiwillig melden - statt dessen bloß am ersten Heldenbegräbnis teilzunehmen, wäre wirklich zu peinlich.)

Der springende Punkt ist und bleibt also der: Noch viel deutlicher als zum Beispiel bei Atom- und Gas-Anlagen handelt es sich bei der Öffnung der Tür zur Dritten Welt für die Bundeswehr um das Anstellen einer Maschine von höchster Explosionsgefahr. Es ist eine Illusion zu glauben, deutliche Grenzen auf alle Zeit könnten gezogen und respektiert werden, wenn die Bundeswehr erst einmal in der Wüste, im Dschungel oder im Busch steckt. Die einzige Sicherheit gegen Eskalationsgefahren ist wie im Falle Wackersdorf: die Null -Lösung.

Jürgen Link

Der Autor ist Professor an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitet seit Jahren in einer Initiative gegen Bundeswehreinsätze in der Dritten Welt.

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