: ...the Sammertime-Blues
■ Die Dame Hertha wurde beim 0:4 in Stuttgart gewogen und für zu leicht befunden / DDR-Neuzugang Sammer warf alleine die Abwehr um
Stuttgart. Nur ein einziges Mal hatte die Hertha am Freitag abend in Stuttgart das bessere Ende für sich. Während VfB-Trainer und Schwabe Entenmann holprig-ungelenk zwei Sätzchen in der Hochsprache zum besten zu geben versuchte, kam Werner Fuchs‘ Analyse in flüssigstem Hochdeutsch und unbemüht-ehrlich jovialem Tonfall. Allerdings: Auf dem Spielfeld war es zuvor über 90 Minuten genau andersherum gewesen.
Hertha kam aus dem Stolpern gar nicht heraus, spielte ohne erkennbare Taktik und ohne offenkundiges Interesse, dem Sinn des Spiels Rechnung zu tragen. „Wir hatten nur die Chance, ein Tor zu schießen, solange es 0:0 stand“, wußte der Hertha -Coach zu vermelden und offenbarte damit eine besorgniserregende Regelunkenntnis, ist doch das Toreschießen theoretisch immer gestattet, auch einem Aufsteiger, auch auswärts und auch bei einem Rückstand.
Immerhin: In der ersten halben Stunde hatten die Herthaner laut Fuchs „drei (!) Riesenkonter gefahren“. Nun, eigentlich war es nur eine mittelprächtige Chance für Kruse, von dem ansonsten nichts zu sehen war, was ihm aber niemand ernstlich übelnehmen kann. Immerhin hatte er den mittlerweile unumstritten besten Fußballer hierzulande und anderswo, „Diego“ Buchwald, gegen sich. Dazu gab's einen Kopfballversuch von Theo Gries und eine wirkliche Fastmöglichkeit, als sich Gaudino und Kögl, wild wirbelnd und ohne erkennbar die Torrichtung in Betracht zu ziehen, sich selbst schwindlig spielten (von der Hertha-Abwehr gar nicht zu reden) und ein seltsamer Querschläger zu Kruse kam, der an der Mittellinie mutterseelenallein herumlungerte und gemütlichst auf den eingedösten Immel hätte zusteuern können, wäre, ja wäre er nicht über die eigenen Beine gestolpert.
Während der vom Stadionsprecher bis zum Hobby -Kultusminister Mayer-Vorfelder penetrant pseudo-bayrisch naßforsch „Wiggerl“ genannte Ludwig Kögl die Schwaben mit seinen Tricks verzückte und sich Gegenspieler Holzer am Ende wie nach einer Karussellfahrt vorkommen mußte, zeigte der gerade erst den Dresdnern entronnene Matthias Sammer mit zwei Toren plus allem, was ein Fußballer der Neunziger können sollte, daß er unausweichlich ein kommender Nationalspieler ist. Dazu einer, der bereits nach kurzer Zeit die Gesetze der Pressedumpfkonversationen kennt („Nationalelf? Kein Thema, erst muß ich einmal fünfzehn Spiele in der blabla...“).
Für die Hertha brechen harte Zeiten an. Da hilft es weder, über Fritz Walters vermeintliches Foul, das Tor Nummer eins vorausging (Walter: „Isch hab‘ gedrückt, er hat gedrückt“), zu lamentieren, noch wütend über den beim selbigen Treffer als Sündenbock ertappten Dirk Greiser herzuziehen, wie Trainer Fuchs („Libero wird er in nächster Zeit mit Sicherheit nicht spielen“) das tun zu müssen glaubte. Kann sein, daß die Bundesliga-Waage die Dame Hertha doch leichter auszeichnet, als man das in Berlin vermutet und erhofft hatte. Ein Trost blieb den Hertha-Spielern: sie haben bereits ein Gefühl kennengelernt, das auf die anderen Bundesliga-Teams garantiert noch zukommt. „The Who“ wußten es bereits vor zwanzig Jahren: “...there ain't no cure for the Sammertime-Blues.“
Peter Unfried
Stuttgart: Immel - Allgöwer - Buchwald, Schnalke Basualdo, Hartmann, Sammer (83. Kramny), Gaudino (88. Jüptner), Frontzeck - Walter, Kögl.
Hertha BSC: Junghans - Greiser, Halvorsen - Jakobs, Schlegel, Holzer, Mischke (64. Farrington), Gries, Gowitzke (77. Zernicke) - Rahn, Kruse. Zuschauer: 35.000
Tore: 1:0 Sammer (52.), 2:0 Buchwald (67.), 3:0 Sammer (72.), 4:0 Gaudino (74.).
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