Der Griff nach dem Staat

■ Die Drogenmafia ist zum politischen Machtfaktor geworden, sagt der italienische Anwalt und Mafia-Experte Paolo Bernasconi

INTERVIEW

Bernasconi, 45, hat als Staatsanwalt in Lugano die Geldwaschanlagen der „Pizza Connection“ aufgedeckt. Das soeben in Kraft getretene Gesetz zur Transparenz der Geldflüsse in der Schweiz beruht auf seinen Vorschlägen.

taz: Die Drogenmafia scheint sich nicht mehr bloß zwecks Geldwäsche und Markteroberung, sondern zur Geldanlage in legale Sektoren in Europa festzusetzen. Sind die Alarmrufe berechtigt?

Bernasconi: Die starken kriminellen Gruppen folgen seit jeher dem Fluß des Geldes, und mitunter folgt das Geld ihnen. Europa ist für den Drogenhandel ein großer, wichtiger Markt, seit die USA, neben der nun auch stark vom Rauschgiftkonsum betroffenen Dritten Welt der wichtigste Markt, gesättigt sind.

Was bedeutet das konkret für Europa?

Jedenfalls mehr als nur Drogenhandel. Die großen Gruppen sind ja in vielen Sektoren tätig, nicht nur in Drogen. Das geht von Autoschieberei über gefälschte Wertpapiere bis hin zum Waffenhandel. Da kommen ungeheure Summen zusammen, viel mehr als nur beim Drogenhandel, und daraus entsteht dann das nächste, noch größere Problem...

Die Geldwäsche?

Nicht nur. Es geht um derart ungeheure Summen, daß solche Gruppen bereits imstande sind, kleine und sogar mittelgroße Länder über die Wirtschaft, etwa den Aktien - und Devisenmarkt in den Griff zu bekommen. Lateinamerikanische Länder wie Peru und Bolivien sind Beispiele dafür, und in Italien hat die Finanzpolizei bereits so viele Staatsobligationen in der Hand krimineller Gruppen festgestellt, daß sie einen Einfluß auf die Wirtschaft und damit die Politik für denkbar hält.

Auf den internationalen Märkten kann man ja z.B. auch deutsche Aktien kaufen. Wie geschieht die Einschaltung in solche Bereiche, ohne daß die Behörden da etwas unternehmen können?

Das ist nicht sonderlich schwierig. Zwar gibt es inzwischen in Europa in den meisten Ländern eine genauere Kontrolle der Banken durch Gesetze gegen die Geldwäsche, doch leider sind damit bedeutende Sektoren des Geldwesens noch immer nicht erfaßt. So können z.B. gewitzte Gruppen ihr Geld in kleinen Firmen anlegen, mit deren Kontrolle sie dann als Teilhaber in größere, nach außen hin saubere, aber momentan etwas klamme Firmen einsteigen, mit denen sie dann wiederum an der Börse spekulieren können, ohne aufzufallen. Bis die Behörden, etwa die Börsenaufsicht, dahinterkommen, sind die schon im Besitz zehntausender Wertpapiere. Weiterhin gibt es noch immer das unkontrollierte Wesen der Wechselstuben und Finanzierungsgesellschaften. Bei den einen kann man schmutziges Geld durch Umtausch in eine andere Währung waschen, bei den anderen das Geld „offizialisieren“, d.h. durch fingierte Aufträge und Überweisungen zu angeblich legal erworbenem Besitz machen. Wenn diese Aufträge auf Auslandspartner ausgestellt sind, können die Behörden das kaum nachprüfen.

Nützen die neuen Gesetze nichts?

Gesetze gegen Geldwäsche, vor allem wenn sie gleichzeitig eine Kontrolle der Geldflüsse insgesamt gestatten, sind sicher ein richtiger Schritt, weil man so früher als bisher auffällige Bewegungen erkennen kann. Doch das genügt nicht. Da der Drogenhandel ja kein isoliertes oder isolierbares Problem eines einzigen Staates ist, sondern viele Länder einschließt - von den Anbauländern über die Zwischenstationen bis zum Groß- und Einzelhandel im Verbraucherland - entsteht das große Geld nicht nur in einem Land, sondern überall, wird kreuz und quer angelegt und vermehrt sich. Gleichzeitig bringt die Mischkonzernstruktur der Händlergruppen eine Mobilität des organisierten Verbrechens mit sich, die mit herkömmlichen Mitteln nicht zu knacken ist. Die organisierte Kriminalität kann man nur mit einer systematischen, nicht einer punktuellen Antwort bekämpfen: durch staatliche Maßnahmen wie durch private, soziale, wirtschaftliche und, natürlich, auch adäquate polizeiliche und juristische Maßnahmen. Sonst geht da gar nichts.

Das Gespräch führte Werner Raith