Vom Kaffeeschmuggel zum Kokain

■ Der Schwarzhandel ist in Galicien ein Kavaliersdelikt / Doch die alten Routen, auf denen Kaffee und Tabak transportiert wurden, dienen nun zunehmend für Kokain / Vom plötzlichen Reichtum eines großen Dorfes in Nordwestspanien

Aus Verin Antje Bauer

„Schau, der da“, der Zeigefinger des Begleiters deutet auf einen jungen blonden Mann mit Schnauzer, der lässig an einer Hauswand lehnt, „der ist der Obermacker der Dealer. Er ist auch bei Waffen- und Frauenhandel dabei.“ Ein paar Straßen weiter weist der Finger auf eine obskure Kneipe: „Der Inhaber dieses Meson ist durch Koka steinreich geworden. Und diese Häuserzeile“, der Begleiter deutet auf eine Reihe nagelneuer Häuschen „hat einer bauen lassen, der noch vor wenigen Jahren ein Habenichts war.“

Verin, knapp 7.000 Einwohner, in der nordwestspanischen Provinz Galicien gelegen: Es gibt keine Industrie, nur ein paar verfallene Kuranlagen; aus Heilquellen wird maschinell Mineralwasser abgefüllt. Doch in diesem großen Dorf, in dem sich noch vor wenigen Jahrzehnten nicht viel mehr als Esel bewegten, tummeln sich heute BMWs und Mercedesse, die Grundstückspreise im Zentrum sind mit denen in Madrid und Barcelona vergleichbar, etwa ein Dutzend Banken ist hier ansässig. Der Reichtum, der in so kurzer Zeit in dem Dorf eingezogen ist, hat einen einfachen Grund. Verin liegt in dem Einzugsbereich der Rias Bajas, der Küste vor der Kreisstadt Pontevedra und ist darüberhinaus nur 13 km von der portugiesischen Grenze entfernt. Über Jahre hinweg sind die Rias Bajas der Abladeort für Kokain und Heroin aus Lateinamerika gewesen, das von dort nach Europa weiterverteilt wurde. Die Überseeschiffe, die den Stoff brachten, ankerten in internationalen Gewässern, von dort wurde er in Fischerbooten und später Schnellbooten an die Küste gebracht. Zugute kam diesem Handel, daß die Beteiligten bereits geübt waren: Seit Jahrzehnten wurde auf diese Weise Tabak ins Land geschmuggelt. Kokain war eher noch einfacher zu schmuggeln: Mit den winzigen Päckchen war wesentlich mehr Gewinn zu machen als mit mehreren Fuhren Tabak.

Vor eineinhalb Jahren allerdings verloren die Rias Bajas plötzlich an Bedeutung. Um den internationalen Vorwürfen zu begegnen, Spanien diene als Drogeneinfuhrland für ganz Europa, verfügte die spanische Regierung, daß Fischer- und Schnellboote, die normalerweise für die Anlandbringung der Drogen benutzt werden, nur noch nach vorhergehender Information der Küstenwache nebst Angabe von Ziel und Zeitpunkt der Reise auslaufen dürfen. Seither haben die Drogenschmuggler nach neuen Wegen für den Stoff gesucht. Einer davon scheint über die Costa del Sol am Mittelmeer zu führen, ein anderer läuft über Portugal. „Im Prinzip gilt in Portugal dieselbe Vorschrift für Schnellboote wie in Spanien“, erläutert ein hochgestellter Zivilgardist in Verin. „Doch die Kontrollen sind nicht so effektiv. Vermutlich wird der Stoff in Portugal an Land gebracht und dann auf dem Landweg weiter nach Spanien transportiert - auf den alten Schwarzhandelswegen.“

Von Verin zum Dorf Feces ist es ein Katzensprung. Wenn man hinter Feces fünf Minuten spazierengeht, kommt man an einen Fluß, der auf beiden Seiten dicht von Bäumen und Büschen gesäumt ist. Es ist der Tamega und bildet die Grenze zu Portugal. Seit Jahrzehnten überqueren die Bewohner des Umlands den Tamega im Schutz seiner Bäume in der einen und anderen Richtung, um Waren in das jeweils andere Land zu schaffen. Auch die umliegenden Hügel, die die Grenze zwischen Spanien und Portugal bilden, werden nicht verschmäht: Nicht nur wandernde Schmuggler mit der Last auf dem Rücken, sondern zahlreiche beladene Lastwagen haben hier den Weg ins Nachbarland gesucht. „Ich hatte früher einen Kolonialwarenladen in Verin“, erzählt die 80jährige Rosalia C., und den ganzen Kaffee, den ich verkaufte, bezog ich als Schmuggelware aus Portugal - in Spanien gab es sonst keinen Kaffee. Einmal kam die Guardia Civil und umstellte mein Haus - da hatte mich jemand verpfiffen. Ich hatte einen Sack Kaffee, den packte ich ins Bett, legte mich selber drauf und schickte meine Tochter los, einen Arzt zu holen, ich sei schwer krank. Als die Guardia Civil gerade mein Schlafzimmer untersuchen wollte, kam der Arzt. Der hob die Decke hoch, sah den Sack, verkniff sich gerade noch das Lachen und verwies die Guardia streng aus dem Zimmer: „Seht ihr nicht, daß die Senora krank ist?“ Anfang der 40er bis Mitte der 50er Jahre war die Hochzeit für den Schmuggel. Kaffee, Kleidungsstücke und Metallabfälle wurden ins vom Bürgerkrieg ausgeblutete Spanien geschmuggelt, als es schon wieder besser ging, kamen auch Kälber und Tabak dazu. „Der Schmuggel war notwendig zum Überleben“, erklärt dazu Rosalia C.

Mit der Zeit änderten sich die Waren. Nach Portugal wurden Bananen über die Berge geschleppt. Unter der Salazar -Diktatur überquerten viele Portugiesen den Tamega bei Feces, um in Frankreich Arbeit zu suchen. Die Helfer in Verin und Umgebung verdienten. Die Auseinandersetzungen mit den zahlenmäßig unterlegenen Grenztruppen blieben auf relativ friedlichem Niveau: Die Schmuggler wurden in der Regel nur mit Geldstrafen belegt, wenn sie erwischt wurden, viele Grenzpolizisten zogen es ohnehin vor, sich am Verdienst zu beteiligen. Zum Schußwechsel soll es nur ein Mal gekommen sein.

Der Warenaustausch auf niedriger Ebene ist nach wie vor an der Tagesordnung - erst vor kurzem wurden 40 Maultiere konfisziert, die von Portugal nach Spanien geschmuggelt wurden, um dort zu Wurst verarbeitet zu werden. Andererseits werden in Verin Autos geklaut und über die grüne Grenze nach Portugal gebracht. Doch die Großschmuggler, die schon vor 50 Jahren das größere Geschäft machten, haben inzwischen erneut die Waren gewechselt. Devisen werden nun nach Spanien geschmuggelt, Waffen und Mädchen, wenn auch in geringem Maß und - vor allem - Drogen.

Sicher ist, daß Verin seit dem Beginn des Drogenhandels seine dörfliche Friedlichkeit eingebüßt hat. Zu vorgerückten Nachtstunden brechen in den zahlreichen Pubs eigenartige Euphoriewellen aus und ebenso unvermittelt wieder ab - schon früh wird hier mit dem Genuß von Kokain begonnen. In einem Vorort lebt wie in einem Bunker ein reuiger Drogenhändler, der vor Gericht gesprochen hat - er hat Angst vor der Rache seiner ehemaligen Geschäftskollegen. Die sind ohnehin nervös, seit Mitte Juni in Galicien und Madrid 31 Personen wegen mutmaßlichen Drogenhandels festgenommen wurden, darunter einige bekannte ehemalige galicische Tabakschmuggler. „Auch Verin wird fallen“, kündigt der Zivilgardist an. - Dann kollabiert die Wirtschaft der Stadt.