piwik no script img

Die Abtreibung des Rechts

■ Die Koalition stellt entgegen höchstrichterlicher Rechtssprechung das „Wohnortprinzip“ vor das „Tatortprinzip“ und verletzt für Berlin auch noch den Gleichheitsgrundsatz

Wenn politische Feiglinge ihr Verhalten rechtfertigen müssen, entdecken sie gewöhnlich die Dialektik. Ex -Innenminister Gerhard Baum tat es jedenfalls am Morgen nach der Unterwerfung. Er betonte, daß der Koalitionsbeschluß über Strafbarkeit und Nicht-Strafbarkeit der gesamtdeutschen Abtreibung möglicherweise dem Anliegen der Frauen „letztendlich“ nütze, weil er Auseinandersetzung provoziere. Der Rechtsstaatler Baum sollte sich weniger um das Interesse der Frauen, sondern um den Rechtsstaat sorgen. Die Frauen haben immer zurecht gefordert, daß der 218 auch die Männer angehe. Nur weil der Koalitionsbeschluß eine Ohrfeige gegen jedefrau ist, ist jederman nicht weniger getroffen. Um die Strafbarkeit der Abtreibung zu erhalten, wird so nebenher auch der Rechtsstaat abgetrieben.

Die Koalition hat beschlossen, z.B. eine Frau aus Düsseldorf, die in Leipzig abtreibt, nach dem „Wohnortprinzip“ strafrechtlich verfolgbar zu machen. Das „Tatortprinzip“ gehört zur deutschen Rechtstradition. Es bedeutet, daß die Zuständigkeit des Gerichts sich auf den Tatort bezieht. Es gibt zwar ein „interlokales Strafrecht“ zwischen einzelnen Ländern, beim Forststrafrecht. Aber nach der höchstrichterlichen Rechtssprechung und der herrschenden Meinung geht „Tatortprinzip“ vor „Wohnortprinzip“. Dies ignoriert die Bonner Koalition nicht nur, für Berlin verletzt sie auch den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 des Grundgesetzes. Aufgrund der besonderen Tradition der DDR, kann es ein ungleiches Recht im vereinten Deutschland geben. Aber die Westberlinerin darf dann nicht schlechter gestellt sein als ihre Landsfrau in Ost-Berlin. In Berlin müßte also DDR-Recht gelten. Dann wäre wiederum die Westberlinerin im Vorteil gegenüber der Hamburgerin. Also müßte man eine Mauer in Berlin aufbauen. Oder man bezieht das „Wohnrechtsprinzip“ auf Stadtbezirke. Ganz zu schweigen von den konkreten Fragen der Strafverfolgung. Wie will ein Leipziger Staatsanwalt klären, ob ein eventueller Wohnortwechsel jener Düsseldorferin nur zum Scheine erfolgte? Und so weiter ad absurdum.

Rechtssicherheit? Rechtsempfinden? Was interessiert es. Bei der deutschen Vereinigung darf auf jeden Fall die katholische Triebökonomie nicht gefährdet werden. Ein kleines Frauenopfer für die Einheit gefällig? Die FDP -Generalsekretärin hat dem liberalen Umfallen die weibliche Note gegeben: „Wir sind nicht umgefallen, wir haben es hinnehmen müssen.“ Aber die Hinnahmefreude allein reicht nicht, man muß auch das Recht verbiegen.

Es reicht nun. Dieser ganze Schweinpriesterverein, der Politik aus dem Bauch macht und die Atmosphäre mit ihren Winden und ihren dogmatischen Sekretionen verstänkert, soll auch noch unsere Zukunft beherrschen! Hier geht es um weit mehr, als um Politik und politische Unterwerfung. Es geht um Demütigung und sich demütigen lassen.

Klaus Hartung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen