: „Sexualität wird übersprungen“
■ Schwierigkeiten mit der Erotik: als Ausweg aus dem Zölibat kommt nur die Ehe in Frage
INTERVIEW
Richard Picker war Priester. Er lebt als Psychotherapeut und Buchautor in München. Nach einer Abkehr von der Kirche fand er - über die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus erneut Zugang zum Christentum.
taz: Etwas anderes als die Ehe hätten Sie als Ausweg aus dem Zölibat gar nicht hingekriegt, sagten Sie auf dem Kongreß. Für Freundinnen habe Ihre Kraft nicht gelangt. Warum nicht?
Picker: Für so einen vollidentischen Kleriker ist die Ehe die einzige Form der Sexualität. Er ist leicht versucht, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Mit diesem sehr fragwürdigen Bestreben überspringt man die ganze Sexualität, die eigene erotische Entwicklung und Erfahrung, das Vertrauen in sich selbst.
Aus welchem Grund werden junge Männer Priester?
Die Psychotherapie diagnostiziert eine starke unaufgearbeitete Mutterbindung. Dazu paßt die Überhöhung der Mutter Gottes. Man wird der Mutter nicht untreu, bleibt ihr verbunden als entsexualisierter Partner.
In den Zölibat statt in die Psychose zu flüchten ist doch auch ein Ausweg aus einer beängstigenden Situation?
So weit geht das nicht. Man identifiziert sich eher mit der größten denkbaren Autorität. Terroristen handeln da ähnlich aus einem geschlossenen Gedankengebäude heraus. Sie können da erst raus, wenn sie den ganzen Komplex von außen sehen und infrage stellen können. Dazu kommen die ungelösten triebhaften Probleme. die jungen Männer sagen nicht, ich mag keine Frau, sondern: ich darf keine mögen.
Und das funktioniert seit über 2.000 Jahren in dieser Schlichtheit?
Seit der Antike! Die Frau ist dieser unglückselige Ort, aus dem sich dieses unglückselige Leben immer wieder fortpflanzt. Eine Rolle spielte dabei sicher auch die buddhistische Mission im Mittelmeerraum. Die Seele als Schlüssel zum Kosmos und männlich; die Frau als physischer, irdischer, tierhafter Leib.
Braucht der Papst eine Therapie?
Päpste nehmen sicher Schaden an ihrer Persönlichkeit durch die Einengung ihrer Freiheit durch die Kurie und an der Belastung durch die Gesamtkonzeption, die ist einfach zu groß. Das bedürfte einer solchen Ich-Stärke...
Hätte eine Therapie denn theoretisch Erfolgsaussichten?
Da dürfte der Papst nicht mehr den Anspruch haben, der Hirte aller Menschen zu sein.
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